Amati, Guarneri, Stradivari – die größten Geigenbauer ihrer Zeit lebten praktisch Tür an Tür im norditalienischen Cremona. So konnten sie ihre Erfahrungen austauschen, heutzutage würde man von „Vernetzung“ sprechen. Seit 1998 suchen die Klanggestalten, ein Zusammenschluss von etwa 25 Geigen- und Bogenbauern, genau diese Nähe untereinander. Räumlich ist das heutzutage freilich nicht mehr möglich, denn angesiedelt sind die Werkstätten zwischen Irland und Spanien. Allerdings waren schon in den Neunzigern die Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten soweit gediehen, dass für den Austausch der Werkstätten nicht mehr der Sitz in derselben Kleinstadt nötig war.Klanggestalten-Plakat2011-(c)-Christian-DahlKern der Klanggestalten ist die gleichnamige Ausstellung, bei der die Instrumentenbauer der Öffentlichkeit – und natürlich ihren Kollegen – die neuesten Exemplare präsentieren. Diese werden nicht nur ausgestellt, sondern auch öffentlich angespielt. Dadurch können die Zuhörer den Klang der Instrumente direkt vergleichen. „Das Schöne ist, dass wir uns hier auf Augenhöhe begegnen, etwa so, wie wenn sich gute Köche treffen würden“, erklärt Jean Severin, der seine Werkstatt in Weimar hat. Dem Geigenbauer wurde zwar der Beruf nicht in die Wiege gelegt, doch er arbeitete schon im Alter von zwölf Jahren in einer Berliner Geigenbauwerkstatt. Den langen Weg bis zum Meisterbrief und seinem eigenen Betrieb trat er also schon recht früh an.Klanggestalten-DSC-0916-(c)-Andreas-HampelEtwa sechshundert Werkstätten gibt es in Deutschland, wobei viele von ihnen Ein-Mann-Betriebe sind. Wirbel und andere Teile lässt man sich zuliefern, das Holz bezieht man bei einem jener Händler, die sich auf den Verkauf von Instrumentenholz spezialisiert haben. Der Rest ist dann reine Handarbeit. Etwa zehn bis zwölf Geigen im Jahr kann ein Meisterbauer herstellen. Das erklärt auch den Preisunterschied zu den Fabrikinstrumenten, die zwar inzwischen erstaunliche Klangergebnisse liefern, aber nicht annähernd an die Qualität der Meistergeigen erreichen. Die Preise für ein Instrument sind freilich so mannigfach wie die Wünsche der Kunden, grundsätzlich dürfen die sich aber auf einen fünfstelligen Kaufbetrag gefasst machen.Klanggestalten1004-(c)-Jean-SeverinDer wichtigste Unterschied zwischen einer neuen, handwerklich hergestellten Geige und einem historischen Instrument aus Cremona wiederum liegt für Jean Severin nicht mehr in der klanglichen Natur: „Ein neu gebautes Instrument kann noch keine Geschichte erzählen, womit es auch noch nicht diesen Nimbus haben kann wie etwa eine Stradivari. Wenn man einem Jugendlichen etwa die Wahl ließe zwischen einem historischen Instrument und einem von mir, würde er sich wahrscheinlich für das historische entscheiden.“ Dass das Holz wie ein guter Wein erst noch reifen muss, mag zwar stimmen, solange sich das Material noch einschwingen muss. Aber nach etwa dreißig Jahren wird das Holz nicht mehr besser, dann hat es bereits die bestmöglichen Eigenschaften. Da die Geigen trotzdem nicht vor Abnutzung gefeit sind (im Gegensatz zum Wein, der bis zum Verbrauch bestmöglich konserviert werden muss), muss das Holz immer wieder behandelt werden, damit es nicht spröde oder porös wird, auch den Lack müssen Fachleute immer wieder erneuern. Darin liegt auch der entscheidende Vorteil von Neuinstrumenten: Sie begleiten den Besitzer ein Leben lang.Klanggestalten-2004-(c)-Jean-Severin1004

Bögen stellen Geigenbauer in der Regel nicht her: Das übernehmen die Bogenbauer. Perfekt austariert zwischen Kopf (die Spitze) und Frosch (der Griff), ideale Druckverteilung auf der Saite, eine schöne Biegung – all diese Herausforderungen an die Herstellung hochwertiger Bögen sind Wissenschaft genug für einen Handwerker, um sich auf jenen Teil des Streichinstruments zu spezialisieren, der keinesfalls nur Zubehör ist. Deshalb schenkt man den Bögen dieselbe Aufmerksamkeit bei den Klangwelten wie den Instrumenten selbst. Es mag also sein, dass die präsentierten Exemplare aus Kostengründen nicht zwingend für Schüler oder ambitionierte Laien zum Kauf in Frage kommen. Sie können aber Vieles über den Klang – und die Tücken – der Streichinstrumente lernen.

20. Klanggestalten-Ausstellung

Freitag, 04. bis Sonntag, 06. November 2016
www.klanggestalten.de

Palais Podewil
Klosterstrasse 68
10179 Berlin

Eintritt für Ausstellung und Klangproben frei

Freitag, 04. November 2016

14:00 – 22:00 Uhr Ausstellung

16:00 Uhr  ​Klangprobe Bratschen, öffentliches Anspielen der Bratschen und Bögen mit Prof. Walter Küssner, HfM Berlin

19:30 Uhr Kammerkonzert des con-takt Projektes 2016
Studierende der HfM Berlin auf neugebauten Instrumenten und Bögen
Eintritt frei

Samstag, 05. November 2016

12:00 – 22:00 Uhr Ausstellung

12:30 Uhr V​ortrag von Dipl.-Agr.-Ing. Mario Sterz (Bundesamt für Naturschutz) „CITES-Bestimmungen für Musikinstrumente“, mit anschließender Diskussion zur praktischen Umsetzung für reisende Musiker, u.a. mit Frau A. Scharmann (Naturschutzbehörde des Landes Berlin).

16:00 Uhr ​Klangprobe Celli, öffentliches Anspielen der Celli und Bögen mit Prof. Stephan Forck, HfM Berlin

19:30 Uhr ​Großer Konzertabend des con-takt Projektes 2016, Professoren und Studierende musizieren gemeinsam auf neugebauten Instrumenten und Bögen, u.a. das Streichsextett B-Dur von Joh. Brahms
Eintritt: 12,00 € / ermäßigt 6,00

Sonntag, 06. November 2016

12:00 – 18:00 Uhr ​Ausstellung

14:00 Uhr ​Vortrag von Prof.Dr. Kai Köpp „Musikinstrumente und Politik: Warum sich der französische Bogen erst nach 1830 allgemein durchsetzte“

16:00 Uhr Klangprobe Geigen, öffentliches Anspielen der Geigen und Bögen mit Prof. Stephan Picard, HfM Berlin

 

Fotos: Christian Dahl, Andreas Hampel, Jean Severin (2)