Dass Chirurgen während einer Operation gerne klassische Musik hören, ist bekannt. Wer hätte aber gedacht, dass speziell die Werke von Bach und Mozart auf Ärzte und Patienten gleichermaßen eine positive Wirkung haben? Durch Zufall hat man in den 1990er Jahren in der Cleveland Clinic in den USA festgestellt, dass sich der Medikamentengebrauch während und nach einer Operation bis zu 30 Prozent reduziert, wenn klassische Musik gespielt wird. Davon profitieren nicht nur die Patienten selbst, sondern auch das Budget des Krankenhauses.

Klassische Musik kann sich positiv auf den Körper auswirken © shutterstock

Seitdem arbeitet das Neurological Institute der Klinik mit dem Cleveland Orchestra unter der Leitung des deutschen Dirigenten Franz Welser-Möst zusammen, um die positiven Auswirkungen klassischer Musik speziell auf Menschen mit Depressionen, Autismus und Schizophrenie zu untersuchen. „Mehr und mehr stellt sich heraus, dass Musik nicht nur ein emotionales, künstlerisches Ventil ist, sondern vielmehr auch spezifisch positive Wirkungen auf Gesundheit und Heilung haben kann“, schreibt Welser-Möst in seiner Autobiografie „Kadenzen“.

Mozart auf der Intensivstation

Generell nimmt Musik in der Behandlung schwer kranker Menschen eine immer größere Rolle ein. Deswegen wenden mehr und mehr Krankenhäuser diese Methode an Intensiv- und Krebspatienten sowie bei solchen mit Hirnleistungsstörungen mit sichtbarem Erfolg an. Der Chirurg und Musikwissenschaftler Claudius Conrad hat am Klinikum Großhadern in München die Wirkung von Mozarts Klaviersonaten auf Patienten untersucht, die nach einer Operation auf der Intensivstation lagen und künstlich beatmet werden mussten. Normalerweise werden sie mit einem Beruhigungsmittel sediert, um den Dauerstress durch den Beatmungsschlauch, die Infusionen und die Schmerzen ertragen zu können.

Weniger Medikamente dank klassischer Musik © shutterstock

Einige dieser Patienten bekamen über Kopfhörer langsame Sätze aus Mozarts Klaviersonaten vorgespielt, was zu einer erhöhten Ausschüttung von Wachstumshormonen im Gehirn führte. Je mehr von diesen Hormonen ausgeschüttet wurden, desto geringer war die Menge des Stressbotenstoffs Interleukin 6, der freigesetzt wurde. Die Folge war, dass die Patienten sich entspannten und ihre Herzfrequenz und ihr Blutdruck so weit heruntergingen, dass die Ärzte während und bis zu einer halben Stunde nach der Musikeinspielung auf die Gabe von Beruhigungsmittel verzichten konnten.

Vivaldi ist besser als Lachmann

Angebote für Kranke gibt es natürlich auch außerhalb des Operationsaals und von Kliniken, wie sich bei Konzerten für Menschen mit Demenz und deren Angehörige zeigt, die seit einigen Jahren vom WDR Sinfonieorchester, der Philharmonie Essen oder den Duisburger Philharmonikern angeboten werden. Menschen, die auf besondere Aufmerksamkeit und Toleranz angewiesen sind, wird in diesem Rahmen ein intimer und von der Dauer her eher kurzer Konzertabend geboten. Denn oft ist für Demenzkranke der Moment das, was zählt. Aber nicht nur für die Kranken selbst, auch für ihre Angehörigen sind die Veranstaltungen Erlebnisse, die sie gemeinsam erleben und genießen können.

Im Juni startete auch in der Hamburger Elbphilharmonie in Kooperation mit der Körber-Stiftung und dem Ensemble Resonanz eine ähnliche Konzertreihe. Das Ensemble Resonanz konnte bereits in vielen musikalischen Workshops und Konzerten für Demenzkranke Erfahrungen sammeln und bringt diese in das Projekt mit ein. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Konzert, dauert das Programm in der Regel nur etwa 45 Minuten. Außerdem verzichtet das Ensemble auf Neue Musik. „Bei Menschen mit Demenz ist es meiner Meinung nach ganz wichtig, an verborgene Erinnerungen zu gelangen. Das geht mit Vivaldi besser als mit Lachmann“, sagt David Schlage, Bratscher des Ensembles Resonanz, im Gespräch mit der Körber-Stiftung.

„Sobald ich den letzten Ton gespielt habe, bin ich festgenagelt“

Wenn sich passiver Musikkonsum schon so förderlich auf die Gesundheit auswirkt, wie muss es dann wohl sein, selbst zu musizieren? Herbert Bruhn ist 69 Jahre alt und veranstaltet in der Alten Druckerei Ottensen in Hamburg regelmäßig Konzerte. Der ehemalige Dirigent und Pianist spielt aber nicht mehr selbst, denn bei Bruhn wurde vor 17 Jahren die neurodegenerative Erkrankung Morbus Parkinson diagnostiziert. Obwohl er nicht mehr auf der Bühne stehen kann, versucht er so viel Zeit wie möglich am Klavier zu verbringen. „Ich kann lange spielen ohne Medikamente nehmen zu müssen“, erzählt er, „aber sobald ich den letzten Ton gespielt habe, bin ich festgenagelt.“

Während des Musizierens schüttet der Körper das Glückshormon Dopamin aus © shutterstock

Das Spielen eines Instruments ist eine sehr empfindliche Tätigkeit, die darauf baut, dass alle Nerven funktionieren. Durch viel üben versucht Bruhn, diese Funktion so lange wie möglich aufrechtzuerhalten: „Damit kann man gegen die Krankheit ankämpfen und sie gewissermaßen zurückschieben.“ Wenn Bruhn am Klavier sitzt, schüttet sein Körper das Glückshormon Dopamin aus, dessen Mangel als Ursache für die Entstehung der Parkinsonkrankheit angesehen wird. Klassische Musik fördert bei den Betroffenen außerdem den Kommunikationsfluss zwischen den Nervenzellen und verhindert ihre Degeneration. „Ich hätte bestimmt größere Schwierigkeiten wenn ich etwas machen würde, das mir keinen Spaß macht. Da hat mich Musik schon sehr erfüllt“, sagt Bruhn.

Klassische Musik kann helfen

Musik ist eben eine Sprache ohne Worte, die bei jedem, egal ob krank oder gesund, Emotionen auslöst. Und diese Emotionen wirken sich, insbesondere wenn sie positiv sind, erheblich auf die Gesundheit aus. Ganz werden Kranke in nächster Zukunft wohl nicht auf ihre Medikamente verzichten, aber immerhin ihren Gebrauch verringern können. Und das ist auch ein Erfolg. „Ärzte unterschätzen oft, dass Menschen einen starken Willen haben“, erklärt Bruhn, „wenn man etwas will, dann schafft man das auch. Und ich will Musik machen.“

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