Volkslieder haben nach wie vor seinen schweren Stand. Sei es wegen ihres scheinbar eingestaubten Rufs mit ewig gestrigem Inhalt oder aufgrund der Missbräuche in der Zeit des Nationalsozialismus mit einem belasteten Heimatbegriff. Vielmehr noch: Das „Volkslied“ gibt es eigentlich gar nicht. Dieser Begriff wurde zum ersten Mal durch Johann Gottfried Herder (1744-1803) geprägt. Dank Herder, einer der einflussreichsten Dichter und Denker im Zeitalter der Aufklärung, wurde das Volkslied in einem historischen Blickwinkel als etwas für die Nachwelt erhaltenswertes gesehen und umfangreich dokumentiert, wie in seinen „Stimmen der Völker in Liedern“. Darin sind auch viele Lieder und Sagen aus anderen Ländern enthalten, wie zum Beispiel Zitate und Lieder von Shakespeare.
Früheste Quellen aus dem 12. Jahrhundert
Die frühesten Quellen des deutschsprachigen Liedes entspringen bereits zur Zeit der Minnesänger im 12. Jahrhundert. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts werden einige in Handschriften wie dem „Lochamer-Liederbuch“, der wohl ältesten erhaltenen Liedersammlung mit Melodien, festgehalten. Welche Lieder darin aufgenommen wurden, hing allerdings vom persönlichen Geschmack des jeweiligen Sammlers ab. Für fast die Hälfte der Lieder stellt es die einzige Quelle dar. Heute befindet es sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.
Die traditionelle Volksliedforschung hatte bestimmte Kriterien, nach denen ein Volkslied definiert wird. Ursprünglich wurden sie mündlich weitergegeben und spiegelten Charakter, Sitten, sogar die ganze Geschichte eines Landes wider. Sie mussten zudem über Jahrhunderte erhalten sein und die Herkunft musste unbekannt sein. Besonders aber mit den letzten beiden Merkmalen nahm es Herder nicht so genau – bei ihm mussten die Lieder weder alt noch anonym sein, um als Volkslieder zu gelten.
Volkslieder für das Volk?
Zahlreiche Volksliedsammlungen und Editionen gaben vielen Komponisten und Dichtern ab dem 18. Jahrhundert entscheidende Anstöße, die daraufhin begannen „im Volkston“ zu schreiben. So erschien es den Romantikern nicht als Widerspruch, dass viele Kunstlieder nun zu Volksliedern wurden.
Eine entscheidende Quelle in der Zeit der Romantik war „Des Knaben Wunderhorn“ (1806-1808) von Clemens Brentano und Achim von Arnim. Diese Sammlung von Volksliedtexten stellte für Komponisten wie Schubert oder Mahler ein nicht wegzudenkendes Kompendium dar. Die Sammlung war als Buch aber so teuer, dass von Volkstümlichkeit keine Rede sein konnte. Ganz abgesehen davon, dass die Herausgeber vornehmlich auf schriftliche Quellen und zuweilen kuriose Altertümer zurückgegriffen haben und nicht auf die Liedkultur der damaligen Bevölkerung. Vielmehr warfen hier gebildete Bürger einen Blick zurück auf die gute alte Zeit.
Missbrauch und Genesung
Nachdem der rassistisch geprägte Volks-Begriff zur Zeit des Nationalsozialismus und der Missbrauch des Volksliedes für politische und ideologische Zwecke diese Gattung in Misskredit brachten, hat es sich erst in den 1970er-Jahren durch die Folkbewegung mit Liedermachern wie Hannes Wader allmählich wieder erholt. Sein wohl populärstes Lied als Volkssänger ist der Titel „Heute hier, morgen dort“. 1974 hat er sich auf seinem Album „Plattdeutsche Lieder“ mit niederdeutschen Volksliedern auseinandergesetzt, wie „Dat du min Leevsten büst“. Auch wenn die ursprünglichen Kriterien eines Volkslieds nach und nach verwischen, so lebt in ihm doch immer ein Stück Geschichte weiter.
Anregungen finden Sie beispielsweise beim LIEDERPROJEKT des Carus-Verlag, das seit 2009 ständig um neue Lieder erweitert wird. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Stöbern und vor allem beim Mitsingen!
Aufmacherbild: XMAX