Kaum ein anderer Komponist polarisiert so sehr wie Richard Wagner. Mit seiner Vorstellung vom „Musikdrama als Gesamtkunstwerk“ veränderte er nachhaltig die Opernwelt und übte Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts. Zugleich war er Nationalist und überzeugter Antisemit. Das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM) ergründet in „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ Leben und Werk des Komponisten im Kontext der damals vorherrschenden Stimmungen. Dabei geht die Ausstellung den Fragen nach, welche Gefühle Wagner inszenierte und konstruierte, wie er die Emotionen seines Publikums beeinflusste und dieses sich schlussendlich als „deutsch“ fühlte. Wie prägte er dieses „deutsche Gefühl“ und welche Bedeutung hatten dabei seine insgesamt etwa 4000 Seiten umfassenden theoretischen Schriften?

Die Kuratoren Michael P. Steinberg und Katharina J. Schneider zeigen Wagner als einen „Gefühlstechniker“, der es verstand, seine Kunst mithilfe ausgeklügelter Strategien zu verkaufen. Sein Mittel der Wahl: Emotionen. Im Prinzip bediente sich der kapitalismuskritische Wagner den Methoden modernen Marketings. Gleichwohl wäre sein künstlerischer Aufstieg ohne den damals entstehenden kommerzialisierten Kunst- und Musikmarkt nicht möglich gewesen, so die Kuratoren.

Richard Wagner im Kreis seiner Freunde und Anhänger aufgenommen anlässlich der Uraufführung von Tristan und Isolde © Wagner-Sammlung im Thüringer Museum Eisenach/Reuter-Wagner-Museum
Richard Wagner im Kreis seiner Freunde und Anhänger aufgenommen anlässlich der Uraufführung von Tristan und Isolde © Wagner-Sammlung im Thüringer Museum Eisenach/Reuter-Wagner-Museum

Das „Deutsche“ als Marke und Maßstab

Der Prolog führt in die vielschichtigen Rollen ein, die Wagner in seiner Biografie durchlaufen hat: wirkungsmächtiger Komponist und angestellter Hofkapellmeister, Revolutionär, Autor, Günstling reicher Mäzene und eines Königs, Bankrotteur und Festspielgründer. Vier Ausstellungsbereiche thematisieren je ein „Grundgefühl“, das sowohl die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts antrieb als auch Wagner als Kind dieser Zeit prägte. Vermittelt werden diese mit Ausschnitten aus unterschiedlichen Inszenierungen, Hörstationen und Kurzinterviews mit Wagner-Interpretin Waltraud Meier und Opernregisseur Stefan Herheim. Außerdem zu sehen sind persönliche Aufzeichnungen und Gegenstände Wagners, Gemälde, Zeichnungen, Manuskripte, Briefe und Fotografien.

Am Anfang steht die „Entfremdung“ als ein Vehikel, um über die Rolle des Künstlers, der sozialen Stellung des Musiktheaters und der Kunst im Allgemeinen nachzudenken. Als Folge seiner vergleichsweise weniger erfolgreichen Jahre in Paris lehnte Wagner die italienische und französische Opernkultur zunehmend ab und erkannte darin eine Lücke, um sich selbst als Künstler und seine Werke deutlich abzugrenzen: Das „Deutsche“ wird in seinem Schaffen zu Marke und Maßstab. 1865 notierte er in seinem Tagebuch: „Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist.“

Hausschuh von Richard Wagner © Richard Wagner Museum, Luzern
Hausschuh von Richard Wagner © Richard Wagner Museum, Luzern

Luxus, Konsum und Besitz

In Wagners Vorstellung war das Theater weit mehr als die Spielstätte. Er sah darin einen Ort, von dem gesellschaftliche Veränderungen ausgehen und an dem das Publikum intensive emotionale Erfahrungen machen soll. Begehren ist die Haupttriebfeder seiner Figuren auf der Opernbühne. Der zweite Bereich der Ausstellung widmet sich folglich dem „Eros“. Eine zentrale Frage ist dabei, wie Wagner die Diskussionen über Geschlechterrollen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beeinflusst hat. Zum Eros gehöre auch das in den Gründerjahren aufkommende Streben nach Luxus, Konsum und Besitz. In Wagners künstlerischer Produktion und seinem Lebensstil wechseln sich Geldausgeben und Schuldenmachen stets ab. Für ihn kein Widerspruch, denn sein Selbstbild war das eines „Künstlers, der außerhalb bürgerlicher Konventionen steht“.

Das dritte Kapitel beleuchtet das Gefühl der „Zugehörigkeit“. Nicht zuletzt aufgrund der in Gesellschaft, Kunst und Politik omnipräsenten Suche nach „dem Deutschen“ nahm die Frage, wer dazu gehört und wer nicht, in seinen Kompositionen eine immer größere Rolle ein. Mit Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 wurden „gemeinschaftlich erlebte Gefühlsinszenierungen von ‚Volk‘ und ‚Nation‘“ auf der Bühne wichtiger als die persönlichen Emotionen der Figuren, das vermeintliche „Deutsche“ als selbst beanspruchter Markenkern seiner Werke. Vor diesem Hintergrund seien die fünf Jahre später gegründeten Bayreuther Festspiele als Anpassung an die vorherrschende Ideologie und als Etablierung Wagners auf dem Kunstmarkt zu verstehen.

Totenmaske Richard Wagners (Neuausformung) © Deutsches Historisches Museum/Foto: Indra Desnica
Totenmaske Richard Wagners (Neuausformung) © Deutsches Historisches Museum/Foto: Indra Desnica

Wagners Bedeutung in der Gegenwart

Das vierte Grundgefühl „Ekel“ ist eng mit Wagners vehementem Antisemitismus verbunden. Der Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, thematisiert diesen in seiner Installation „Schwarzalbenreich“: Besucher hören in absoluter Dunkelheit eine Klangcollage, in der sich ins Jiddische übertragene Passagen über die „jüdische Sprechweise“ aus Wagners Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“ mit Szenen der antisemitisch überzeichneten Nibelungen Alberich und Mime sowie des Beckmesser aus den „Meistersingern“ und synagogaler Gesang miteinander vermischen.

Am Ende der Ausstellung beschäftigt sich ein Epilog mit der wechselhaften Wirkungsgeschichte des Komponisten und fragt nach seiner Bedeutung in der Gegenwart.

© bpk – Bildagentur