„Klassische Konzerte haben sich jahrhundertelang als eine Art Gottesdienst präsentiert, in denen man stillsitzen soll. Das kann nicht die Lösung für das 21. Jahrhundert sein“, sagt Matthias Georg Kendlinger. Mit seinem neuen Format „Galaxy of Kendlinger – Im Klang der Zeit“ will der österreichische Musiker, Komponist und Veranstalter gegensteuern und vor allem eine junge Zuhörerschaft für den Konzertbesuch begeistern. Auf dem Programm stehen zunächst Filmmusik von John Williams und eigene Werke, eine ausgeklügelte Lichtregie soll mit dezenter Beleuchtung für eine wohlige Atmosphäre im Saal sorgen und zugleich die Stimmungen der Musik verstärken. Doch auch die beste Konzertidee hat wenig Aussicht auf Erfolg, wenn das Marketing nicht harmoniert.

Der gebürtige Tiroler km schon als Fünfjähriger mit der Musik in Berührung © Ascher
Der gebürtige Tiroler km schon als Fünfjähriger mit der Musik in Berührung © Ascher

Goldene Gischt rauscht hinter dem Porträt des Komponisten hervor. Ob das die Folge einer Explosion ist oder Engelsflügel symbolisiert, liegt im Auge des Betrachters. Darunter prangt in großen Lettern der Schriftzug mit dem Namen des Formats. Plakat und Titel sind Ergebnis eines Wettbewerbs, berichtet Kendlinger. „Ich hatte anfangs Zweifel, ob der, zugegeben, hoch angesetzte Name treffend ist, aber mein Team bestärkte mich: Wenn wir junges Publikum ansprechen wollen, müssen wir uns moderner Sprache bedienen“ Den Einstieg in die Klassik erleichtern soll neben Williams‘ bekannten Melodien auch die Tatsache, dass seine eigene Musik nur in Auszügen erklingt. „Für Erstbesucher sind zwei Sinfonien nacheinander etwas schwierig“, ist der Komponist überzeugt. Auch einzelne Sätze könnten prägnant gesellschaftliche Themen wie Menschenrechte oder Manipulation, so die Überschriften zweier Sinfonien, ansprechen. Denn entgegen des ersten Eindrucks geht es bei diesem Format mitnichten um bloße Unterhaltung. Das widerspräche auch der Erwartungshaltung junger Zuhörer. „Schon Beethoven und Tschaikowsky haben mit ihren Werken soziale Inhalte transportiert. Neue Musik muss und kann das genauso.“

„Galaxy of Kendlinger“ als Bühne für tonale Klassik der Gegenwart

Die Premiere Ende Oktober im Festspielhaus Erl, bei der auch Kendlingers Sohn Maximilian am Pult stand, ist jedenfalls gelungen. Sechzig Prozent der Besucher seien jünger als vierzig Jahre gewesen. Zum Erfolg des Formats habe auch die persönliche Begegnung des Publikums mit Musikern und dem Komponisten beim „Meet & Greet“ am zweiten Tag beigetragen. „Zeitgenössische tonale Klassik kann neues Publikum begeistern“, resümiert Kendlinger. Dass man sich in der neuen Musik indes oft auf Atonales fokussiere, ist für ihn Ausdruck „rücksichtsloser Arroganz“ gegenüber dem Hörer. „Mit einer sogenannten Hochkultur, die nur von Intellektuellen verstanden wird, bauen wir das verbleibende Publikum zusätzlich ab.“ Das Format der „Galaxy“ soll daher in Zukunft Komponistenkollegen als Plattform offenstehen, auch einen Wettbewerb könne er sich vorstellen. Derzeit suche man nach Kooperationspartnern und neuen Spielstätten.

Premiere für das Konzertformat „Galaxy of Kendlinger – Im Klang der Zeit“ im Festspielhaus Erl © Friedl Schwaighofer
Premiere für das Konzertformat „Galaxy of Kendlinger – Im Klang der Zeit“ im Festspielhaus Erl © Friedl Schwaighofer

„Gründen oder aufhören“

Mit der Feuertaufe der „Galaxy“ wurde in Erl der zwanzigste Geburtstag der „K&K Philharmoniker“ gefeiert, dem ersten Orchester, das Kendlinger gegründet hat – die später entstandenen „K&K Symphoniker“ sind mittlerweile Teil der Philharmoniker. Auch einen Opernchor und eine Ballettcompagnie rief er ins Leben. Als Konzertveranstalter sei er damals regelmäßig an den Punkt gekommen, dass die musikalische Interpretation auf der Bühne seinen Vorstellungen zuwiderlief. „Nicht weil die Orchester schlecht gewesen wären, sondern weil mein eigener Drang zum Gestalten immer intensiver wurde. Also musste ich entweder gründen oder aufhören.“ Sein Freund Oleg Stankevych, der als Lehrer nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl mit ukrainischen Kindern zur Erholung nach Tirol gekommen war, überzeugte ihn damals vom künstlerischen Potential seiner Heimstadt Lviv. Der jetzige Orchesterdirektor organisierte ein Vorspiel mit mehr als zweihundert Teilnehmern, aus denen sich im November 2002 schließlich die „K&K Philharmoniker“ formierten.

Matthias Georg Kendligner mit den K&K Philharmonikern bei einem Auftritt im Konzerthaus Kopenhagen © Josef Kendlinger
Matthias Georg Kendligner mit den K&K Philharmonikern bei einem Auftritt im Konzerthaus Kopenhagen © Josef Kendlinger

Der Weg ans Dirigierpult sei da nur die logische Konsequenz gewesen, erinnert sich Kendlinger. Aber ganz ohne Diplom? „Meine Frau Larissa hat mich ermutigt, als Autodidakt diese Hürde zu nehmen. Was sollte ich schon verlieren?“ Ein Vordirigieren bei Leopold Hager, einst Chefdirigent des Mozarteumorchesters und Professor an der Musikuniversität Wien, bestärkte das Vorhaben, ans Pult zu treten ohne dafür mit Anfang vierzig nochmal ein Studium zu beginnen. 2004 debütierte er schließlich als Dirigent im Gewandhaus Leipzig.

Musikschmiede und Kammermusiksaal

Auch das Komponieren ließ nicht lange auf sich warten. 2006 wurde seine sinfonische Dichtung „Der verlorene Sohn“ uraufgeführt. Mittlerweile hat sich Kendlinger im heimischen Schwendt ein eigenes „Komponierhäusl“ gebaut: Arbeiten mit Ausblick auf die Gebirgszüge des Wilden Kaisers statt Trübsinnigkeit im Keller, wo seine ersten Werke entstanden sind. Gleichwohl ist der Bau im Unterschied etwa zu Gustav Mahlers Hütte am Attersee kein von der Welt abgeschiedener Rückzugsort, im Gegenteil: In der 900-Einwohner-Gemeinde gibt es auch einen Kammermusiksaal mit fünfzig Plätzen.

Im eigenen „Komponierhäusl“ finden auch Konzerte statt © Josef Kendlinger
Im eigenen „Komponierhäusl“ finden auch Konzerte statt © Josef Kendlinger

Von Ende Dezember an sind Kendlinger und seine Philharmoniker wieder auf Tournee mit einem der langlebigsten Projekte des Tausendsassas: der „Wiener Johann Strauß Konzert-Gala“. Fast eineinhalb Millionen Zuschauer in neunzehn Länder haben das walzerreiche Programm bisher live erlebt.

Aufmacherbild: © Olsh