„Ein dumpfes schweres Brausen, dann ein helles Murmeln wie von fließendem Wasser, endlich ein grelles Pfeifen, und dazu trat dann noch das Klopfen, dessen einzelne Schläge ich zählen konnte, ohne meinen Puls zu fühlen oder meinen Leib überhaupt mit den Händen zu berühren.“ – Selten wurde das plötzliche Auftreten eines Tinnitus in der Historie so deutlich beschrieben wie in den „Bekenntnissen“ von Jean-Jacques Rousseau, der gerade mal 24 Jahre alt war, als ihn das schwerwiegende Ohrenleiden überkam. Doch dem Schriftsteller, Philosophen, Pädagogen, Musiktheoretiker und Komponisten gelang, was sogar heute noch vielen Betroffenen schwerfällt: Er lernte damit zu leben und gewann so einen Großteil seiner Lebensqualität zurück. Genau dabei soll jetzt „Kalmeda®“ heutigen Patienten helfen. Mit der App trägt das Pharmaunternehmen Pohl-Boskamp gemeinsam mit mynoise und h3ko dazu bei, dass sich von Tinnitus geplagte Patienten zu Hause therapieren können.

Der ewige Teufelskreis

Ein Tinnitus ist keine eigenständige Krankheit, er ist vielmehr ein Symptom. Ein Mensch mit subjektivem Tinnitus nimmt Geräusche war, die nicht von einer äußeren Schallquelle, sondern aus dem eigenen Inneren stammen. Das macht das Problem sowohl für den Betroffen als auch für seine Mitmenschen häufig schwer fassbar. Mögliche Auslöser für einen Tinnitus gibt es viele: Die innere Hörverarbeitung, die für die Verstärkung wichtiger und die Unterdrückung unwichtiger Geräusche zuständig ist, kann beispielsweise durch ein Lärmtrauma oder einen Hörsturz vorrübergehend oder dauerhaft ihre Funktion verlieren. Auch Stress oder Verspannungen im Kiefergelenk können einen Tinnitus auslösen. In wieder anderen Fällen geht der Tinnitus mit anderen Erkrankungen des Ohres oder der Hörbahn einher.

Ohrenbetäubend: Ein Tinnitus kann viele Auslöser haben, zum Beispiel einen zu hohen Lärmpegel © gemeinfrei
Ohrenbetäubend: Ein Tinnitus kann viele Auslöser haben, zum Beispiel einen zu hohen Lärmpegel © gemeinfrei

Die akustische Gestalt eines Tinnitus kann dabei ganz unterschiedlich sein. Doch egal, ob ein Klingeln im Ohr, hohes Piepen im Kopf, dauerhaftes Rauschen, ständiges Klopfen oder helles Summen – eines haben all diese Ohrgeräusche gemeinsam: Sie können für den Betroffenen zu einer schweren psychischen Belastung werden. Denn ein Tinnitus entfacht Stress, der wiederum den Tinnitus verstärkt – ein Teufelskreis.

Eingeschränkt in Alltag und Beruf

Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schwerhörigkeit und soziale Isolation sind nur einige der Auswirkungen, die der Tinnitus auf das alltägliche Leben von Betroffenen haben kann. Viele verzweifeln daran, können ihren Beruf nicht mehr ausüben, vereinsamen, bekommen mitunter sogar schwere Depressionen.

Gerade auch für Berufsmusiker, die darauf angewiesen sind, mit den Ohren zu arbeiten, kann ein Tinnitus im schlimmsten Fall zur Arbeitsunfähigkeit führen. Tatsächlich ist diese Berufsgruppe häufiger betroffen als man zunächst vermuten mag. Besonders in der Rock- und Popmusik sind chronische – oft durch Lärm ausgelöste – Hörschäden keine Seltenheit: Ob Sting, Ozzy Osbourne, Eric Clapton oder Phil Collins – sie alle leiden unter dauerhaften Ohrgeräuschen. Doch auch in der klassischen Musikwelt sind und waren Ohrenprobleme schon immer ein großes Thema.

Baumwolle in den Ohren

Prominentester Vertreter der historischen Persönlichkeiten mit Hörschaden ist ohne Zweifel Ludwig van Beethoven. Etwa die Hälfte seines Lebens litt er an massiver Schwerhörigkeit, begleitet von einem chronischen Tinnitus: „Nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort; ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu“, schreibt er im Alter von 31 Jahren an seinen engen Freund, den Arzt Franz Gerhard Wegeler. Und auch auf einem seiner Skizzenblätter ist ein Hinweis auf einen chronischen Tinnitus notiert: „Baumwolle in den Ohren am Klawier benimmt meinem Gehör das unangenehme Rauschende.“

„Aus meinem Leben“: In das Finale seines Streichquartetts Nr. 1 komponierte Bedřich Smetana seinen Tinnitus als penetrantes hohes e hinein, hier zu sehen im obersten Notensystem © gemeinfrei
„Aus meinem Leben“: In das Finale seines Streichquartetts Nr. 1 komponierte Bedřich Smetana seinen Tinnitus als penetrantes hohes e hinein, hier zu sehen im obersten Notensystem © gemeinfrei

An erfolgreiche Therapieansätze gegen Tinnitus war zu Zeiten Beethovens noch nicht zu denken, auch nicht ein gutes halbes Jahrhundert später, als Beethovens tschechischer Kollege Bedřich Smetana sein Streichquartett Nr. 1 mit dem Titel „Aus meinem Leben“ komponiert. Auch Smetana litt an chronischem Tinnitus, den er in jenem Streichquartett sogar musikalisch verarbeitete: In der Coda des Finales bricht die heitere Musik abrupt ab und in der ersten Violine erklingt über Tremolotönen für einige Sekunden ein schrilles hohes e. Bereits 1846 klagte wiederum Robert Schumann über ein „beständiges Singen und Brausen im Ohr“ sowie über „eine merkwürdige Verstimmung des Gehörorgans“. Ob der Dauerton a, den er ab 1852 zu hören glaubte, ein echter Tinnitus war oder von seinem zunehmenden Realitätsverlust herrührte, ist jedoch nicht eindeutig geklärt.

Auf Rezept kostenfrei

Heute sind ca. 2,7 Millionen Menschen in Deutschland an chronischem Tinnitus erkrankt – die Anzahl wächst jährlich um 250.000 Neuerkrankungen. Trotz zahlreicher Ansätze gibt es noch immer große Versorgungslücken in der Tinnitus-Therapie, die nun durch die Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) „Kalmeda®“ geschlossen werden sollen: „Mit der Kalmeda® App steht erstmals eine komplette individuelle Tinnitusbehandlung auf Basis einer kognitiven Verhaltenstherapie als mobile App zur Verfügung“, erklärt Dr. Uso Walter, HNO-Facharzt und Tinnitus-Experte. In Zusammenarbeit mit dem Psychologen Dr. Stefan Pennig hat er die digitale Therapie entwickelt. Anfang Oktober wurde Kalmeda® als erste deutsche Gesundheitsapp ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Das bedeutet, dass jeder Arzt in Deutschland Kalmeda® ab sofort auf Rezept verschreiben kann. Alle Gesetzlichen Krankenkassen erstatten dann bis zu einem Jahr zuzahlungsfrei die App.

Mit Kalmeda® etappenweise zum Ziel

Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist zugleich die größte Herausforderung: Akzeptanz. Denn je mehr man sich auf den Tinnitus konzentriert, je mehr man sich dagegen wehrt, desto schlimmer und präsenter wird er in den meisten Fällen. Wer an chronischem Tinnitus leidet, muss also zunächst lernen, ihn zu akzeptieren, statt ihn aktiv zu bekämpfen. Doch das ist leicht gesagt.

Bietet individuelles Training im Umgang mit dem Tinnitus: Die Kalmeda® Tinnitus-App © Screenshot Kalmeda® Tinnitus-App
Bietet individuelles Training im Umgang mit dem Tinnitus: Die Kalmeda® Tinnitus-App © Screenshot Kalmeda® Tinnitus-App

Kalmeda® versucht, mittels digitaler Verhaltenstherapie, Hintergrundwissen sowie Bewusstseins- und Entspannungsübungen die innere Einstellung des Betroffenen zum Tinnitus zu verändern und dadurch die dauerhaften Ohrgeräusche weniger präsent zu machen. In fünf Leveln, die jeweils aus mehreren kleinen Etappen bestehen, wird der Patient nach und nach mit seinen Gefühlen dem Tinnitus gegenüber konfrontiert, soll sich bewusst Ziele setzen und seine eigenen Stärken ausfindig werden. Dazu bekommt er eine Reihe an individuell erstellten Hilfen an die Hand, auf die er sich auch im Alltag berufen kann. In regelmäßigen Abständen erkundigt sich die App zusätzlich nach dem Wohlbefinden.

Nachhaltigkeit braucht Zeit

Für die Etappen werden jeweils mehrere Tage Bearbeitungszeit eingeplant, die durch Zeitschranken reguliert werden. Dies sei laut mynoise-Geschäftsführer Christof Schifferings entscheidend: „Diese Zeitschranken erfüllen für die Wirkung der Anwendung einen wichtigen Zweck, da Betroffene ihr Verhalten nicht über Nacht ändern können.“ Anhand der Zeitschranken könne so eine gewisse Nachhaltigkeit bei der Therapie erzeugt werden.

Mit dem Tinnitus zu leben, ihn dadurch zu lindern, kann nicht erzwungen, sondern muss erlernt werden. Kalmeda® kann dabei helfen.

Und auch der alte Rousseau, der damals zunächst verzweifelt dachte, seine Zeit wäre gekommen, ist hier auch heute noch immer ein Vorbild: „Und so segne ich denn noch heute täglich den Himmel für die glückliche Wirkung, die es [das Ohrenleiden] auf meine Seele übte. Wohl kann ich sagen, ich fing erst da zu leben an, als ich mich für einen toten Menschen hielt. Indem ich den Dingen, die ich verlassen mußte, ihren wahren Wert zuerteilte, fing ich an, mich um edlere zu kümmern.“

 

Weitere Infos zur Kalmeda® Tinnitus-App gibt es auf der Website von Pohl-Boskamp und unter kalmeda.de.

Aufmacherbild: Shutterstock