Wenn man es frei nach dem Volksmund „Was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen“ nimmt, dürfte die Diskussion an dieser Stelle beendet sein. So einfach ist es dann aber doch nicht. Denn auch wenn man etwas nicht vermisst, weil man es nicht kennt, kann man sich dennoch danach sehnen. Immerhin übt Musik auf hörende Menschen größtenteils eine besondere Faszination aus – da ist es nur logisch, dass sich Gehörlose fragen, was das Besondere daran ist. Hinzu kommt, dass es viele Menschen gibt, die nicht von Geburt an gehörlos sind, sondern die erst im Laufe ihres Lebens ertauben und daher sehr wohl wissen, wie Musik klingt – und sich danach sehnen.
Über das Dolmetschen von Musik
Die gute Nachricht: Auch für gehörlose Menschen gibt es durchaus Mittel und Wege, Musik für sich erfahr- und erlebbar zu machen. Ein Klang wird zwar hauptsächlich durch das Hören wahrgenommen, aber eben nicht nur. Laura M. Schwengber, die in Deutschland seit Jahren die erste Wahl ist, wenn es darum geht, Musik für Taube zu dolmetschen, vertritt genau diese Meinung – nämlich dass man Musik mit allen Sinnen erfahren kann: Die Bewegungen des Orchesters, des Dirigenten, die unmittelbaren Reaktionen des Publikums spielen eine ebenso große Rolle wie die Konzertatmosphäre an sich oder die Klangvibrationen, die man spüren kann. Oder eben das, was man von der Gebärdendolmetscherin vermittelt bekommt. Wie man sich das vorstellen muss? Grundsätzlich dolmetscht Laura Schwengber Liedtexte – was vor allem bei Popkonzerten wichtig ist.
Hinzu kommen dann noch Tanzbewegungen sowie emotionale Gesten, die die Musik an sich interpretieren. Alles, was Schwengber dafür braucht, ist ein Quadratmeter auf der Bühne – und bei Instrumentalkonzerten ein paar Zusatzinformationen. In diesen Fällen spricht sie auch nicht vom Dolmetschen, sondern von vorbereiteten Übersetzungen: „Gerade wenn es reine Instrumentalstücke sind, interessiert mich die Entstehungsgeschichte ebenso wie die Herangehensweise des Dirigenten, damit ich einen Ansatzpunkt für meine Übersetzung habe. Natürlich entstehen einige Sachen auch spontan bei einem Konzert, aber bei klassischer Musik ist Vorbereitung schon sehr wichtig.“
Wenn die Hände „mitsingen“
Auch wenn Schwengber musikalisch breit aufgestellt ist und Klassik ebenso übersetzen kann wie Popmusik, stößt sie manchmal an ihre Grenzen. Unlängst lehnte sie etwa einen Dolmetscherauftrag ab: Ein Rapper wollte sie für eins seiner Konzerte buchen. „So viele Kraftausdrücke, wie da in den Texten verwendet wurden, kenne ich in Gebärdensprache gar nicht – und will ich auch gar nicht kennen.“
Schwengber ist sich bewusst, dass sie durch ihre Tätigkeit zwar taube Menschen in die Welt der Hörenden integrieren kann und dass im besten Fall dann sogar ein Austausch über das gemeinsame Erlebnis entsteht, aber sie weiß auch, dass sie nur einige Aspekte der Musik – den Rhythmus und die Emotionalität – nahbar machen kann. Der Klang an sich bleibt einem gehörlosen Publikum verwehrt. Trotzdem freut sie sich, wenn sie zum Beispiel „Peter und der Wolf“ übersetzt und mitbekommt, dass die tauben Kinder im Saal mit ihren Händen „mitsingen“. Für sie ist das ein Zeichen, dass Musik auch ohne Klang einen Menschen erreichen kann. Nur eben anders als bei Hörenden.
Nun ist es natürlich weder leistbar noch lohnend, jedes einzelne Klassikkonzert mit einem Gebärdendolmetscher zu besetzen. Fernab dieser Art der Musikvermittlung gibt es aber technische Hilfsmöglichkeiten für Gehörlose. So haben die Jungen Symphoniker Hamburg zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur Jung von Matt unter dem Slogan „Music should be for everyone“ das sogenannte Sound Shirt von der Designagentur Cute Curcuit innerhalb von nur sechs Monaten entwickeln lassen.