Wenn der eher konservative Musikliebhaber liest, dass man Songs im Beatles-Style ohne Weiteres per Algorithmus erzeugen kann, wird er wohl einen Hauch von Selbstgerechtigkeit empfinden. Es ist aber ebenso möglich, Noten durch eine künstliche Intelligenz zu einer Reihe von Bach-Chorälen zusammenstellen zu lassen, die klingen als seien vom Meister selbst. Das kratzt dann ein bisschen am eigenen Kunstverständnis, sagt aber eigentlich gar nicht viel aus – weder über die Musik von den Beatles noch über Bachs Genie.

Musik wird im Comupter verarbeitet
Lässt sich Musik wirklich einfach so generieren? © pixaby/gemeinfrei

Die Beatles-Maschine von Sony

Im Jahr 2016 entwickelte das Sony Computer Science Laboratory einen Algorithmus, den man mit einem musikalischen Datensatz füttern kann, der dann im jeweiligen Stil der Vorlage Werke produziert. Nicht erst seit dieser digitalen Errungenschaft könnte man meinen, die kreative Ader des Menschen habe in der künstlichen Intelligenz eine Konkurrenz bekommen.

Hört man den von der „Flow Machine“ produzierten Song „Daddy’s car“, klingt der durchaus etwas unbeholfen, aber dass die Beatles hier Pate gestanden haben, ist offensichtlich. Doch obwohl das Ausgangsmaterial ausschließlich von den „Fab Four“ stammt, haben Zuhörer seltsamerweise auch Einflüss von Bands wie Weezer oder den frühen Blur bemerkt. Seit 2017 liegen mehrere Alben vor, deren Titel allesamt aus der Flow Machine stammen. Die über zwei Millionen Klicks, die der digitale Songschreiber inzwischen bei den einschlägigen Streaming-Portalen erreicht hat, lassen sicher so manchen Menschen vor Neid erblassen.

Das Vivaldi-Wunder

Deutlich früher als Sony gelang dem amerikanischen Komponisten und Musikwissenschaftler David Cope ein Durchbruch bei dem Versuch, das Werk von Johann Sebastian Bach fortzuschreiben. Im Rahmen seiner „Experiments in Musical Intelligence“ (EMI), über die er bereits 1987 erstmals publizierte, erarbeitete er eine künstliche Intelligenz, die imstande war innerhalb einer Stunde 5.000 neue Bach-Choräle zu produzieren.

Auch mit Vivaldi hatte EMI überhaupt keine Schwierigkeiten. Copes weitere Forschungen eröffneten nach der Jahrtausendwende schließlich die Möglichkeit ganze Sinfonien und sogar Opern herstellen zu lassen. Sein aktueller Algorithmus, der all das leisten kann, heißt Emmy.

Die Menschheit kann also seit knapp drei Jahrzehnten Musik auf ihre Gesetzmäßigkeit analysieren und sich auf dieser Basis umfangreiche neue Werke schreiben lassen. Das führt natürlich zu der Frage, von welcher Qualität die Ergebnisse sind und ob man sich das anhören möchte. Ist es überhaupt das Original, das aufgrund seiner Historie mehr überzeugt? Oder kann die künstliche Intelligenz, die dazu ein gesamtes kompositorisches Vermächtnis analysiert, den Schöpfer der Quelle sogar übertreffen? Hat sich der Mensch als künstlerisches Wesen vielleicht bereits überflüssig gemacht?

Roboter spielt Geige
Wenn der Retro-Bach schon von einer künstlichen Intelligenz komponiert wurde, dann kann das auch gleich der Roboter auf der Geige spielen. ©shutterstock

Der verallgemeinerte Beethoven

Bei der Verfolgung dieser Fragen hilft der Selbsttest. Hört man per Algorithmus erzeugte Werke nach dem Vorbild von Bach, Vivaldi oder Beethoven, dann stellt sich während der ersten Takte immer das gleiche Gefühl ein: Eine ziemlich große Verblüffung. Das liegt daran, dass tendenziell klischeehafte Noten erklingen, die dem Bild, das man sich vom Stil des jeweiligen Komponisten gemacht hat, ganz unheimlich nahe kommen. Da muss man dann Farbe bekennen und sich eingestehen, dass das trotz aller Irritation wirklich gut anzuhören ist.

Diese Selbstbeobachtung sagt jedoch nur aus, dass man auch selbst schon dazu in der Lage war, die verallgemeinerbaren Charakteristika eines Œvres zu erfassen. Die Möglichkeit, diese Leistung zu vollziehen, hat der Mensch offenbar an eine Maschine weitergeben, die mit ihren schier unbegrenzten Rechenkapazitäten ein ganz anderes Produktionspotenzial hat als der Mensch.

Eine unnötige Ehrenrettung

Es liegt die Versuchung nahe, die Qualität der von künstlicher Intelligenz geschaffenen Musik kurzerhand abzustempeln. Einfach zu behaupten, es handle sich schlicht um Musik, die gemäß des Baukastenprinzips entstanden sei, greift aber zu kurz. Auch wenn bisher eher mäßige Aufnahmen mit elektronisch imitierten Stimmen vorliegen, die gar nicht das volle Potenzial aus dem Notentext schöpfen, lässt sich ihre Qualität nicht einfach ohne weitere Argumente beiseite wischen.

Dirigier-Roboter
Um noch einen Schritt weiter zu gehen, kann man künstlich erzeugten Beethoven von einem maschinellen Dirigenten leiten lassen. © Urban Orchestr’Arts/Jean Charles Druais

Der Einwand, diese Musik müsse erst ansprechend und lebendig interpretiert werden, damit sie ihre eigentliche Wirkung entfalten könne, taucht berechtigterweise auch in den Kommentaren zu Musikvideos wie dem zu „Taurus“ auf. Dieses Stück komponierte David Copes Emmy nach dem Vorbild von Vivaldi. Die beiden Kategorien Musizieren und Musik sollten auch in diesem Fall nicht achtlos in einen Topf geworfen werden – es handelt sich um verschiedene künstlerische Ebenen. Zur Ehrenrettung des menschlichen Kunstpotenzials ist das auch gar nicht notwendig.

Der Ursprung von Musik

Bei allen eindrucksvollen Leistungen, die Algorithmen inzwischen erzielen, bleibt entscheidend, auf welcher Datengrundlage die künstliche Intelligenz Musik produziert. Voraussetzung für „Repro-Bach“ sind die originalen Werke des Johann Sebastian, ohne die historischen Konzerte von Vivaldi gibt es keine artifiziellen Neuschöpfungen und es gäbe natürlich keine Beethoven-Imitate ohne die vorangegangene Leistung des letzten Wiener Klassikers. Der Ursprung des Wunders bleibt also letztendlich doch der Mensch.

 

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