Für den technischen Leiter des Musicals ist so ein Showstop immer eine schweißtreibende Angelegenheit: „Wir müssen den Fehler natürlich so schnell wie möglich finden und beseitigen, damit die Show weitergehen kann. Zum Glück reagiert das Publikum eigentlich immer gelassen. Für sie wird es ja noch interessanter, wenn mal eben nicht alles glatt geht.“ Anders würde es aussehen, wenn man ein Problem nicht in den Griff kriegt. Dann bleibt nur noch ein Showabbruch – der Super-GAU für Theater und enttäuschte Zuschauer gleichermaßen. Zum Glück ist so etwas bei „Aladdin“ in den gut zwei Jahren, die das Musical nun schon im Stage Theater Neue Flora in Hamburg läuft, noch nie vorgekommen. Bis Andreas Nostitz damals das Plastikteilchen unter der fahrbaren Kulisse entdeckte und entfernte, dauerte es übrigens etwa zwanzig Minuten. Danach konnte die Show weitergehen.
Technikwunder „Aladdin“
Seitdem ist es lediglich zu knapp zwei Handvoll Aufführungsunterbrechungen gekommen. Für ein technisch derart aufwendiges Musical ist das schon ein kleines Wunder. Denn „Aladdin“ lebt nicht nur von den tollen Darstellern, der märchenhaften Liebesgeschichte und den traumhaft bunten Kostümen, sondern vor allem von der extrem aufwendigen Theatertechnik: Insgesamt gibt es 47 Bühnenbildverwandlungen, die von 121 Movinglights, 200 Farbwechslern und drei Verfolgern in Szene gesetzt werden.
Allein die fünf einzeln fahrbaren Häuserkulissen wiegen zusammen zehn Tonnen. Immer wieder werden sie auf die Bühne gefahren. Dem Zufall wird dabei natürlich nichts überlassen. Als „Aladdin“ nach Hamburg kam, brauchten Andreas Nostitz und seine Kollegen zwei Wochen, um die einzelnen Fahrten so für das Theater zu programmieren, dass ein reibungsloser Showablauf garantiert werden konnte. Immer wieder probten und verfeinerten sie die Fahrten. Erst danach durfte auch das Ensemble auf die Bühne, um mit den Kulissen zu proben.
Sondergenehmigung vom TÜV
Wobei die Darsteller nicht nur während der Basar-Szenen von einer reibungslos funktionierenden Technik abhängig sind. Der Dschinn wird zum Beispiel bei seinen Auftritten aus der Lampe immer von der Unterbühne aus durch eine Falltür nach oben gefahren – und wirbelt dabei manchmal sogar rum. Und einige Tänzer werden mithilfe von zwei „Toastern“ gar von unten auf die Bühne katapultiert. Mit acht Metern pro Sekunde werden sie beschleunigt, sodass sie mit einem zwei Meter hohen Sprung auf der Bühne ankommen. Das ist übrigens doppelt so schnell wie die zugelassene Geschwindigkeit eines Fahrstuhls. Kein Wunder, dass diese Technik eine Sondergenehmigung vom TÜV benötigte.
Eine weitere Besonderheit ist, dass nicht nur Prospekte, sondern auch zahlreiche Kulissenteile vom Schnürboden aus heruntergelassen werden. Wobei der Begriff „Schnürboden“ bei „Aladdin“ gar nicht so richtig zutrifft. Hier wird nämlich nichts mehr mit reiner Muskelkraft gemacht. Dafür sind die Kulissen viel zu schwer. Sie werden mithilfe von Motoren heruntergelassen – und das sind so viele, dass extra für „Aladdin“ eine Zwischenebene eingebaut werden musste, damit alle Platz haben. Und: Die Kulissen nutzen die statische Maximallast des Theaters fast aus. Von den 17 zugelassenen Tonnen sind gerade mal 500 Kilogramm ungenutzt. Eine Meisterleistung in Sachen Statik!
Die Magie des fliegenden Teppichs
Hinzu kommen dann noch die Bühneneffekte. Während einer Show werden 36 Pyroeffekte abgefeuert und zahlreiche Hologramme projiziert, die optische Illusionen perfekt machen. Das alles wird Abend für Abend vom Stage Management, das Andreas Nostitz ebenso unterstellt ist wie der Sound, gesteuert. Auf mehreren Bildschirmen überwachen sie die Show und geben per Knopfdruck und Headset durch, wann was auf der Bühne passieren muss. Die sogenannten „Cues“ folgen sehr oft sehr schnell hintereinander weg. Eine hochkonzentrierte Arbeitsatmosphäre versteht sich da von selbst. Und das in schwindelnder Höhe. Denn das Stage Management sitzt dreißig Meter über der Bühne auf dem ehemaligen Schnürboden des Theaters.
Ein weiteres technisches Highlight von „Aladdin“ ist ohne Zweifel die Szene mit dem fliegenden Teppich. Allein die sternenklare Nacht im Hintergrund wird von eintausend LED-Lampen erzeugt, die im Boden, im Portal und an den Kulissen angebracht sind. Wie der Teppich funktioniert? Andreas Nostitz muss bei dieser Frage schmunzeln: „It’s magic!“ Eine derart aufwendige Show wie „Aladdin“ lebt eben nicht nur von der Illusion und deren technischer Perfektion, sondern auch von den damit einhergehenden Geheimnissen.
Hinter den Kulissen von „Aladdin“
Wer sich aber nicht nur von der Geschichte aus 1001 Nacht verzaubern lassen möchte, sondern selbst auch mal einen Blick hinter die Kulissen von „Aladdin“ werfen will, kann das problemlos tun. Stage Entertainment bietet in regelmäßigen Abständen Backstageführungen an, die man unabhängig von einem Showbesuch buchen kann. Und wer weiß: Vielleicht können Sie ja dann das Geheimnis um den fliegenden Teppich lüften?
Wobei Andreas Nostitz am Schluss dann doch noch eine witzige Teppich-Anekdote verrät. „Der Teppich ist manchmal schon eine Diva. Er wollte man partout nicht fliegen. Ich habe also mal einen ganzen Tag lang mit einem Techniker in Los Angeles telefoniert, der hieß Jesus. Das war an einem Karfreitag. Ich habe also an einem Karfreitag den ganzen Tag mit Jesus telefoniert, wer kann das schon von sich behaupten“, erzählt er lachend. „Und auch wenn das jetzt die katholische Welt ins Wanken bringt: Jesus hat’s nicht hingekriegt.“
Aufmacherbild: Stage Entertainment/Morris Mac Matzen