Und wer nun glaubt, dass diese – nennen wir es fortan liebevoll: Zitierweise – eine kleine Randerscheinung der Popmusikgeschichte darstellt, irrt gewaltig. Die Liste der Künstler mit Klassikzitaten in weltbekannten Popsongs ist tatsächlich lang – The Beatles und Elvis Presley inklusive. Im wahrsten Wortsinn unerhört? Von wegen! Ganz ungeniert wird seit Anbeginn des Popzeitalters von den Kollegen jenseits der E-und U-Grenze abgekupfert. Ihnen fällt kein Beispiel ein? Eine weltbekannte Melodie, ursprünglich aus der Feder von Harold Arlen stammend und seit den späten dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts von sämtlichen Folgegenerationen mehr oder weniger erfolgreicher Popmusiker gesungen, gepfiffen oder auf Ukulelen verunglimpft? Diesmal handelt es sich jedoch um keine Stadionhymne, sondern um den Filmmusikklassiker „Over the Rainbow“ mit dem Hauptthema des dritten Satzes aus Edvard Griegs Klavierkonzert. Eingefleischten Klassikfans zaubert der Song bis heute ein abschätziges Lächeln auf die Lippen. Noch auffälliger am gedeckten Klassiktisch bediente sich die englische Rockband Procol Harum mit ihrer 1967 erschienenen Hitsingle „A Whiter Shade of Pale“, der nahezu vollständig auf Johann Sebastian Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3 basiert.
Ein abschätziges Lächeln gibt es hier jedoch schon längst nicht mehr. Schließlich ist man als Bach-Fan spätestens seit Jacques Loussiers „Play Bach“-Experimenten so einiges gewöhnt.
Beethoven im Beatles-Song
Die Fangemeinde der Beatles, im allgemeinen vom Einfallsreichtum der beiden Frontmänner John Lennon und Paul McCartney unabdingbar überzeugt, blendet seit Jahren erfolgreich die Ähnlichkeit der psychedelischen Ballade „Because“ mit Beethovens langsamen Satz der „Mondscheinsonate“ aus. Lennon selbst gab den Ursprung „seiner“ Komposition später offen zu, schob den schwarzen Peter jedoch seiner Ehefrau Yoko Ono zu, die sich während der Aufnahmen des Öfteren im Studio an den Klavierwerken des Bonner Meisters versuchte. Doch wo Beatles draufsteht, muss schließlich Beatles drin sein.
Der Erfolg von „Because“ kann auch an der Soulsängerin Alicia Keys nicht vorbeigegangen sein. Schließlich tat sie es Lennon in ihrem Hit „Fallin’“ gleich und griff ebenfalls nach Beethovens berühmter Sonate – gemerkt haben werden es die wenigsten. Etwas weniger auffällig versuchten es die Produzenten des Elvis Presley-Hits „Can’t Help Falling in Love“, dessen Struktur auf Jean Paul Egide Martinis „Plaisir d’amour“ basiert. Natürlich hat es auch hier funktioniert. Genauso wie in dem Millionenhit „A Groovy Kind of Love“ der Mindbenders, der vollständig auf Muzio Clementis Klaviersonate G-Dur op. 36 basiert. Ob Phil Collins, der 1988 mit seiner Version ebenfalls einen Welterfolg einstrich, überhaupt von dem Ursprung der Melodie in Kenntnis war, blieb bislang unbekannt.
„Alles glänzt so schön neu“: Popmusik trifft Klassik
Naja, denkt sich der Fan deutscher Popmusik: Seine Lieblingskünstler sind offensichtlich nicht in dieser Riege vertreten. Die deutsche Popmusik ist also durch und durch tugendhaft in der Hinsicht? Von wegen! Die deutsche Popsängerin Jeanette Biedermann erreichte mit ihrer ganz eigenen Version des Moderatos aus Tschaikowskys „Schwanensee“ Goldstatus in den Plattenverkäufen. Unter dem Titel „How It’s Got to Be“ zeigte sie es einfach allen, wie es eigentlich gemeint war.
Einzig die Hip-Hop-Szene geht seit Jahren ganz offen mit Zitaten anderer Werke um, perfektionierte ihre Kopiertechnik gar in Form des Sampling zu einem genreeigenen Stilmittel. So tanzte im Jahr 2008 die Bundesrepublik in jedem Club zu Peter Fox’ „Alles neu“. Neu war an dem Song jedoch gar nichts. Die markant-stampfende Cello-Begleitung stammt aus Schostakowitschs siebter Sinfonie. „Alles glänzt so schön neu“ – dem Sampling sei dank! Wie lautet schließlich eine alte deutsche Redensart? Genau: Aus Alt mach Neu.
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