Sie sind nicht nur auf der Bühne perfekt aufeinander abgestimmt, sondern auch privat: Das Schweizer Duo Praxedis, bestehend aus Praxedis Hug-Rütti an der Harfe und ihrer Tochter Praxedis Geneviève Hug am Klavier, hat sich als einziges Duo weltweit der spannenden Besetzung Harfe und Klavier verschrieben. Voller Spielfreude versetzen sie ihre Zuhörer mal in einen Pariser Salon Anfang des 19. Jahrhunderts, mal in noch nie gehörte Klangsphären. Neben Originalwerken und eigens für sie geschriebenen zeitgenössischen Kompositionen, widmen sie sich zudem werksgetreuen Arrangements bekannter Werke, die jedes Konzert zu einer anregenden Entdeckungsreise machen. Das charmante Duo sieht sich als Gesamtkunstwerk, bei dem die Musik immer im Vordergrund steht. Hier treffen zwei starke musikalische Charaktere aufeinander, die dennoch ausgezeichnet miteinander harmonieren und mit ihren zwei Instrumenten eine unerwartete Klangfülle erreichen. Per Videokonferenz war das Mutter-Tochter-Gespann in seinem Zuhause nahe des idyllischen Zürichsees für ein heiteres Doppel-Interview zu erreichen.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Sie zusammen auftreten?

Praxedis Hug-Rütti: Vor zehn Jahren hatten Freunde von uns einen runden Geburtstag und haben sich ein Konzert mit uns beiden zusammen gewünscht. Wir haben dann nach Noten gesucht und eine Mozartsonate für zwei Klaviere gefunden, die wir eigens bearbeiteten und für das Jubelpaar aufgeführt haben. Das hat uns selbst so große Freude bereitet, dass wir es gleich wiederholen wollten. Meine Tochter hat sich daraufhin auf die Suche nach Originalwerken gemacht und herausgefunden, dass es massenweise Literatur für unsere Besetzung gibt, vor allem aus dem 19. Jahrhundert.

Was ist das Besondere an dieser Besetzung?

Praxedis Geneviève Hug: Das Einzigartige daran ist, dass hier zwei Soloinstrumente zusammenkommen, die beide jeweils eine gleichberechtigte Stimme haben, im Gegensatz beispielsweise zur Kammermusik mit Geige und Klavier. Wir fühlen uns auch nicht so, als ob wir uns gegenseitig begleiten würden, sondern wir sind wirklich zwei gleiche Teile, die zusammen spielen.

Hug-Rütti: … und deren Klänge sich verbinden. Eigentlich ist das Klavier allein schon der Form wegen wie eine liegende Harfe.

Duo Praxedis © Burkhard Scheibe

Wie würden Sie sich selbst als Duo beschreiben?

Hug: Als Gesamtkunstwerk, besonders sichtbar ist das im Auftritt, mit unseren für jedes Projekt eigens entworfenen Kreationen, die wir tragen, aber vor allem auch musikalisch: Die beiden Instrumente verschmelzen klanglich miteinander und behalten doch ihre jeweilige Identität. Das hell klingende Klavier auf der einen und die dunkel klingende Harfe auf der anderen Seite. Vor allem bei den Arrangements der damaligen Zeit hat man so etwas wie eine große Oper in Kleinformat, bei denen man die schönsten Melodien und damaligen Hits spielen kann. Besonders sind die sehr vitalen Rhythmen – und es ist einzigartig. Wir sind praktisch die Einzigen, die in dieser Besetzung regelmäßig spielen.

Hug-Rütti: Ja und die Ergänzung ist einzigartig, das Dramatische der Klavierliteratur und manchmal eher Säuselnde der Harfenliteratur wird in der Melange in unseren Programmen tänzerisch und beschwingt. Und es überträgt sich auf unsere Zuhörer. Wir haben ja auch immer eine fröhliche Zeit, wenn wir zusammen spielen.

Warum ist diese Besetzung heute so selten?

Hug-Rütti: Früher waren es vor allem Harfe und Klavier, die den edlen Damen in den Palästen und Adelshäusern – und auch in den Salons – der musikalischen Unterhaltung dienten. Es hat zum guten Ton gehört, eines der beiden Instrumente zu beherrschen. Und so haben sich die Adligen am Nachmittag getroffen und gemeinsam musiziert. Deshalb wurden auch so viele Kompositionsaufträge vergeben, besonders um die damals beliebtesten Opern im Arrangement zuhause selbst auf Harfe und Klavier nachspielen zu können.

War Hausmusik schon immer ein Thema in Ihrer Familie?

Hug: Wir kommen beide aus einer Musikerfamilie. Mein Onkel ist der Komponist Carl Rütti, ihm haben wir auch schon zwei Alben gewidmet mit Werken, die er für uns geschrieben hat. Aber das gemeinsame Musizieren haben wir wie gesagt erst vor zehn Jahren für uns entdeckt. Davor sind wir ausschließlich solistisch aufgetreten.

Hug-Rütti: Das liegt ja auch daran, dass Du keine Geschwister hast. Es gab einfach keine anderen Instrumente in der Familie. Aber ich habe drei Geschwister und als ich sechs Jahre als war, haben wir zum ersten Mal gemeinsam Klavierquartett gespielt. Wir sind sogar im Fernsehen bei einer beliebten Schweizer Sendung von Heidi Abel aufgetreten.

Frau Hug-Rütti, sie haben ja zuerst das Klavierspielen gelernt, richtig?

Hug-Rütti: Meine Mutter ist auf dem Land aufgewachsen, zusammen mit neun Geschwistern. Da waren einfach keine Klavierstunden drin, obwohl sie gerne Klavierunterricht gehabt hätte. Also hat sie sich das Klavierspiel einfach selbst beigebracht. Sie war eine sehr gute Pädagogin und hat später auch Kinder von Freunden unterrichtet. Und als ich etwa vier Jahre alt war, habe ich einfach selbst angefangen, die Melodien nachzuspielen, die sie ihren Schülern beigebracht hatte. Darüber war meine Mutter so erstaunt, dass sie mich zu einer wahren Klavier-Koryphäe geschickt hat, die mich zur Pianistin ausgebildet hat, bevor ich später zur Harfe gewechselt habe.

Und Frau Hug, haben Sie sich von der Klavierleidenschaft Ihrer Mutter und Großmutter anstecken lassen?

Hug: Also eigentlich wollte ich immer Harfe spielen, denn als ich geboren wurde, spielte meine Mutter schon Harfe. Und deshalb wollte ich also auch unbedingt Harfe spielen. Da es aber hieß, das sei für ein kleines Kind noch zu schwierig, sollte ich zunächst Klavier spielen und könnte später ja immer noch auf Harfe wechseln. Und so habe ich mit Klavier begonnen – und es war nie ein Thema zu wechseln.

Duo Praxedis © Norbert Egli

Wie gestalten Sie Ihre Konzertprogramme?

Hug-Rütti: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal geben Festivals oder Veranstalter bereits Themen vor. Ansonsten gestalten wir jedes einzelne unserer Programme selbst. Zuletzt hatten wir etwa das Thema „Folk Songs“. Wir haben folkloristische Lieder aus Amerika, England und der Schweiz selbst arrangiert und um ein neues Werk eines Schweizer Komponisten ergänzt.

War das ein Auftragswerk?

Hug: Ja genau, wir vergeben eigentlich jedes Jahr einen Kompositionsauftrag, auch um die Förderung zeitgenössischer Musik zu unterstützen, dafür wurden wir schon zweimal, 2014 und 2020, mit dem Preis zur Förderung der zeitgenössischen Musik ausgezeichnet und um Originalwerke in der heutigen Zeit für Harfe und Klavier zu haben. Denn bisher gibt es eigentlich nur Literatur bis 1915 und danach ist ein schwarzes Loch. Das hängt wohl auch mit dem Aufkommen des großen Konzertflügels zusammen. Mittlerweile ist die Harfe aber so gut nachgerüstet, dass die ausgewogene Klangbalance wieder hergestellt ist.

Wie studieren Sie eine Auftragskomposition ein?

Hug-Rütti: Wir arbeiten viel mit dem Komponisten zusammen. Zuletzt haben wir etwa mit Hans Eugen Frischknecht zusammengesessen und intensiv an möglichen neuen Klangfarben und Klangkombinationen für unsere Instrumente gearbeitet. Das war schon etwas Besonderes, weil er sich schon im Vorfeld so viele Gedanken gemacht hat – wir sind auch schon sehr gespannt auf das neue Werk. Und einmal wollte ein Komponist, dass ich mit den Saiten klirre, also eigentlich etwas, was ich als Harfenistin um jeden Preis vermeide. Aber er wollte explizit, dass der Ton nicht schön ist und damit das Publikum vielleicht auch kurz erschrickt und schaut, was da plötzlich auf der Bühne los ist (lacht).

Von welchem Komponisten würden Sie sich ein Werk wünschen?

Hug-Rütti: Ich hätte gerne eines von Leonard Bernstein gehabt, denn ich finde es ganz toll, wie rhythmisch und mitreißend er komponiert hat. Und ein Werk von Arvo Pärt wäre mein Wunsch eines Zeitgenossen. Das wäre schon ganz toll, wenn er etwas für uns schreiben würde.

Hug: Und mein Wunsch wäre von George Gershwin und von Philip Glass ein Doppelkonzert für Harfe und Klavier mit Orchester. Immerhin haben wir von Gershwin und Bernstein schon einige Arrangements gespielt, wie beispielsweise „West Side Story“.

Was ist das Beste daran Musikerin zu sein?

Hug-Rütti: Man ist immer mit Musik umgeben. Man beschäftigt sich eigentlich mit dem Himmel auf Erden.

Hug: Das Wechselspiel von einzelner Auseinandersetzung und gemeinsamer Arbeit – ich freue mich auf jedes Konzert

Wie bereiten Sie sich auf ein Konzert vor?

Hug-Rütti: Wir üben sehr gut, zuerst jeder für sich selber und dann gemeinsam. Wir spielen jeden Tag zusammen.

Hug: Denn gut geübt ist halb gespielt! (lacht)

Duo Praxedis © Nancy Horowitz

Wie gestalten Sie die Kleider für die Konzerte?

Hug-Rütti: Unsere Kleider sind nicht nur eigens von uns gestaltet, sondern auch selbst von uns genäht.

Hug: Und meistens richten wir unsere Garderobe nach dem Programm, denn wir wollen ein Gesamtkunstwerk für das Ohr und das Auge des Publikums sein. Wir wollen damit die passende Stimmung erzeugen, in der die Musik noch besser wirken kann.

Sie haben inzwischen schon zehn Alben herausgebracht. Fühlen Sie sich im Tonstudio genauso wohl wie auf der Bühne?

Hug: Ja sehr, obwohl es natürlich etwas ganz anderes ist, als vor Publikum. Im Tonstudio ist man viel fokussierter auf die Musik.

Hug-Rütti: Und wir haben mit Christopher Alder einen hervorragenden Produzenten. Wir nehmen immer in der Hamburger Friedrich-Ebert-Halle auf, wegen der fantastischen Akustik.

Welches Werk liegt Ihnen besonders am Herzen?

Hug: Das war eigentlich die Erstaufführung von Parish-Alvars’ Konzert für Harfe und Klavier vor drei Jahren im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Es ist faszinierend, wie Parish-Alvars’ das Zusammenspiel unserer Besetzung mit dem Orchester komponiert hat.

Welche Projekte haben Sie als nächstes geplant?

Hug: Bei IDAGIO haben wir kürzlich ein Streaming-Album herausgegeben mit bekannten Stücken, die man vor allem jetzt in dieser Zeit sehr gut zuhause hören kann. Und im Juni bringt Toccata Classics den ersten unserer insgesamt vierteiligen Reihe mit Originalwerken von John Thomas heraus, dem Hofharfenisten Queen Victorias, der sehr viel für unsere beiden Instrumente geschrieben hat.

Bitte vervollständigen Sie den Satz „Ein Leben ohne Musik …

Hug-Rütti: … ist wie ein Fisch ohne Wasser.“

Hug: … ist ohne Spannung und Geschichte.“

Hug: Musik ist ja wirklich etwas vom Wichtigsten, auch für die Gesellschaft, überhaupt die gesamte Kultur. Es muss ja eine Entwicklung der Menschheit geben und die Musik ist Ausdruck des menschlichen Daseins.

Hug-Rütti: Ohne Musik gibt es keine Zukunft, denn die Musik gehört zum Menschen. Ohne sie verarmen wir.

Erleben Sie das Duo Praxedis in einem Trailer zu ihrem aktuellen Streaming-Album „Dreaming“:

 

Aufmacherbild: Norbert Egli