Ohne den künstlerischen Nachwuchs hat die Kultur keine Zukunft. Doch gerade die jungen Musikerinnen und Musiker, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, trifft die Corona-Krise zurzeit besonders hart. Denn ihnen fehlen im kulturellen Stillstand nicht nur die Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt durch Konzertauftritte zu bestreiten: Auch die Rücklagen und Sicherheiten, die einen etablierten Künstler gerade noch so über die Runden kommen lassen, schwinden.

Angesichts dieser pandemiebedingten Notlage hatte die Carl Bechstein Stiftung im Februar 2021 zusätzlich zu ihrem regulären Förderprogramm zehn Sonderstipendien ausgeschrieben.  Mit deren Hilfe sollten herausragende junge Pianistinnen und Pianisten zumindest einen Teil ihrer ausbleibenden Einnahmen durch abgesagte Konzerte kompensieren zu können.

Hilfen im Wert von 352.000 Euro

Nach Durchsicht der 86 Bewerbungen, die bis zum Einsendeschluss am 1. März eingegangen waren, haben Vorstand und Kuratorium der Stiftung jedoch einstimmig entschieden, dass allen Hilfesuchenden auch Hilfe zuteil kommen solle: „Wir haben festgestellt, dass die Not noch größer ist, als wir gedacht hatten“, so Stiftungs-Vorstand Gregor Willmes. „Wir haben in den vielen Anschreiben die Verzweiflung dieser jungen Musikerinnen und Musiker gesehen, sodass wir uns schließlich dazu entschieden haben, noch mehr zu tun.“

Kurzfristig wurde deshalb die Zahl der ausgestellten Jahresstipendien, die mit einer monatlichen Zahlung von je 1.000 Euro dotiert sind, von anfänglich zehn auf 18 erhöht. Zudem erhalten die übrigen 68 Bewerberinnen und Bewerber eine unterstützende Einmalzahlung in Höhe von 2.000 Euro, sodass sich die Hilfen der Carl Bechstein Stiftung für aufstrebende Pianistinnen und Pianisten letztlich auf insgesamt 352.000 Euro belaufen – mehr als doppelt so viel, wie ursprünglich geplant.

Die Vergleichbarkeit der Notlage

Voraussetzungen für ein Stipendium waren unter anderem ein Höchstalter von dreißig Jahren, ein abgeschlossenes Masterstudium im Fach Klavier sowie eine durch die Corona-Pandemie hervorgerufene finanzielle Notsituation: „Wir wollen bewusst diejenigen fördern, die jetzt am meisten leiden“, erklärt Willmes, der gemeinsam mit anderen Stiftungsmitgliedern für die Auswahl der Stipendiaten zuständig ist. „Die Vergleichbarkeit der Notlage der einzelnen Bewerber ist allerdings sehr schwierig. Sie alle haben ihre Auftrittsmöglichkeiten verloren, ebenso ihre Einnahmen durch Wettbewerbe, Klavierunterricht oder Dozentenaufträge. Dass wir diese Sonderstipendien ausgeschrieben haben, war sicherlich goldrichtig, weil da wirklich ein dringender Bedarf an Hilfe besteht.“

Mit den Sonderstipendien der Carl Bechstein Stiftung sollen junge Pianistinnen und Pianisten in Krisenzeiten Unterstützung bekommen © Jana Stein
Mit den Sonderstipendien der Carl Bechstein Stiftung sollen junge Pianistinnen und Pianisten in Krisenzeiten Unterstützung bekommen © Jana Stein

Ohne materielle Sorgen

Neben dem jeweiligen Schweregrad der aktuellen Krisensituation zählen jedoch auch künstlerische Maßstäbe: Gewonnene Preise und Wettbewerbe, CD-Aufnahmen und eingesendete Videos geben Auskunft darüber, wer das Potential für eine künftige Karriere mitbringt. Unter den ausgewählten Stipendiaten befinden sich vielversprechende Talente wie Aaron Pilsan, der bereits auf großen europäischen Bühnen konzertierte, Wataru Hisasue, Preisträger des Internationalen ARD-Musikwettbewerbs sowie Shihyun Lee, Gewinnerin des Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Wettbewerbs. „Denjenigen Musikern, die ein Stipendium bekommen haben, wollen wir nach Möglichkeit die materiellen Sorgen nehmen, damit sie sich ganz auf ihre Kunst konzentrieren können“, so Willmes. Zwar könne man leider nicht allen helfen, die von der aktuellen Krise betroffen sind, dafür seien es zu viele. Mit den 68 Einmalzahlungen solle jedoch ein möglichst großer Kreis an Betroffenen von der Unterstützung der Carl Bechstein Stiftung profitieren.

Findet dieses Jahr in der Wertung „Klavier und ein Streichinstrument“ statt: Der stiftungseigene Carl Bechstein Wettbewerb © Thorsten Eichhorst
Findet dieses Jahr in der Wertung „Klavier und ein Streichinstrument“ statt: Der stiftungseigene Carl Bechstein Wettbewerb © Thorsten Eichhorst

Doch nicht nur die jungen Nachwuchsmusikerinnen und -musiker hatten während des letzten Jahres an den Corona-Beschränkungen zu leiden. Auch die Carl Bechstein Stiftung selbst, die sich in erster Linie der musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen verschrieben hat, musste einige der geplanten Veranstaltungen und Preisvergaben absagen – die dabei durch die Ausfälle eingesparten Gelder sind zum Ausgleich direkt in die exklusiv ausgeschriebenen Sonderstipendien geflossen. So hat sich auch der stiftungseigene Carl Bechstein Wettbewerb nun um ein Jahr verschoben und soll im kommenden Oktober in der Wertung „Klavier und ein Streichinstrument“ nachgeholt werden. Anmeldungen zum Wettbewerb werden noch bis zum 15. August 2021 entgegengenommen.

Die Saat der Hochbegabtenförderung

Andere Projekte der Carl Bechstein Stiftung wie die Förderung hochbegabter junger Pianistinnen und Pianisten im Alter von elf bis vierzehn Jahren können trotz Corona weiterlaufen. Allerdings wurden die vier Stipendien im letzten Jahr nicht wie sonst an ausgewählte Teilnehmende des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“ vergeben, da dieser nicht stattfinden konnte. Stattdessen stützte sich die Auswahl auf die Zusammenarbeit mit den Nachwuchsinstitutionen der deutschen Musikhochschulen.

Dass die Saat der Hochbegabtenförderung der Carl Bechstein Stiftung dennoch selbst in Zeiten des kulturellen Lockdowns reiche Früchte trägt, zeigen unter anderem Auftritte von Ron Maxim Huang und Marie Sophie Hauzel in der von arte und WDR in Zusammenarbeit mit Geiger Daniel Hope produzierten Sendung „Hope@Home“ im November letzten Jahres. Die beiden Pianisten waren von 2014 bis 2017, quasi als Teil der ersten Fördergeneration, Stipendiaten der Stiftung gewesen und dürften in Zukunft noch für einiges Aufsehen sorgen.

Stiftungsvorstand Gregor Willmes (m.) mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten der ersten Fördergeneration: (v. l. n. r.) Ron Maxim Huang, Yumeka Nakagawa, Marie Sophie Hauzel und Jens Scheuerbrandt © Archiv Carl Bechstein Stiftung
Stiftungsvorstand Gregor Willmes (m.) mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten der ersten Fördergeneration: (v. l. n. r.) Ron Maxim Huang, Yumeka Nakagawa, Marie Sophie Hauzel und Jens Scheuerbrandt © Archiv Carl Bechstein Stiftung

„Klaviere für Grundschulen“

In all diese individuellen Förderungen reiht sich zudem ein weiteres Projekt ein, das die Carl Bechstein Stiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2012 stetig vorantreibt und das nicht auf die Unterstützung einzelner Talente, sondern auf Breitenförderung abzielt: Im Rahmen von „Klaviere für Grundschulen“ stellt die Stiftung ausgewählten Schulen kostenlos Klaviere zur Verfügung. „Seit der Einführung von Ganztagsschulen gehen die Kinder heute oft bis nachmittags in die Schule und haben gar keine Gelegenheit mehr, Klavierunterricht zu bekommen“, erklärt Willmes. „Deshalb haben wir uns gefragt, warum wir den Klavierunterricht nicht einfach direkt in die Schulen verlegen können.“ Da vor allem viele Grundschulen heute nicht mehr die Mittel haben, neue Instrumente zu kaufen, werden sie von der Stiftung mit hochwertigen Klavieren ausgestattet – darunter auch Schulen in sozialen Brennpunkten.

„Es geht uns nicht darum, lauter kleine Mozarts zu fördern“

Durch den Klavierunterricht in Schulen können auch Kinder, denen über das Elternhaus wenig bis gar kein Zugang zum Kulturleben ermöglicht wird, Klavierunterricht nehmen: „Es geht uns in diesem Projekt nicht darum, lauter kleine Mozarts zu fördern“, so Willmes, „sondern wir versuchen, die Kinder an die Klaviermusik heranzuführen, weil wir natürlich auch wissen, wie positiv sich Musik und das Musizieren auf den Menschen ausüben können.“

Soll möglichst vielen Kindern den Zugang zur Klaviermusik ermöglichen: Das Projekt „Klaviere für Grundschulen“ der Carl Bechstein Stiftung © Archiv Carl Bechstein Stiftung
Soll möglichst vielen Kindern den Zugang zur Klaviermusik ermöglichen: Das Projekt „Klaviere für Grundschulen“ der Carl Bechstein Stiftung © Archiv Carl Bechstein Stiftung

Tatsächlich ist das traditionsreiche Kulturgut des Klavierspielens nicht nur Balsam für Seele und Geist: Es steigert die Kreativität, kompensiert Konzentrationsschwächen, fördert die Intelligenz und verbessert soziale Kompetenzen – das belegen zahlreiche Studien. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Klavier gegen so viele andere Freizeitaktivitäten, Computer, Handys und elektronische Unterhaltungsmedien anzukämpfen haben, sei es laut Willmes besonders wichtig, „dass die jungen Menschen noch selbst etwas aktiv gestalten und schaffen und nicht nur irgendwelche Youtube-Videos schauen.“

Das Klavier kann immer noch mithalten

Angefangen in Berlin, wo die Initiative gegründet wurde, hat sich das Projekt mittlerweile auf die ganze Bundesrepublik ausgeweitet, so dass bisher über 220 Schulen mit gestifteten Klavieren ausgestattet wurden. Dass das Klavier für viele Kinder auch heute noch immer mit den modernen Unterhaltungsmedien mithalten kann, zeigen die begeisterten Reaktionen der Schulen und ihrer Schüler: „Wir kriegen von den Schulen Fotos und Videos zugeschickt“, schwärmt Gregor Willmes. „Eine Klasse hatte sogar ein Lied komponiert. Zu sehen, dass diese Kinder glücklich sind und dass da auch viele dabei sind, die wahrscheinlich ohne unsere Aktion keinen Klavierunterricht bekommen hätten, ist für uns als Stiftung natürlich ein großes Dankeschön.“

Weitere Informationen zu den Projekten der Carl Bechstein Stiftung gibt es unter www.carl-bechstein-stiftung.de.

 

Videobeitrag zum Projekt „Klaviere für Grundschulen“ der Carl Bechstein Stiftung:

 

Aufmacherbild: © Thorsten Eichhorst