Sie machen es vor dem Einschlafen, im Urlaub, beim Essen oder auf dem Weg zur Arbeit: Knapp ein Drittel aller Deutschen hört regelmäßig Podcasts. Und es werden immer mehr. In den USA, der Wiege des Podcasts, sind die Audio-Serien längst in den Mainstream-Medien angekommen. In Deutschland hingegen sind Podcasts erst in den letzten zwei Jahren so richtig bekannt und beliebt geworden. Kaum ein Themenfeld ist dabei unangetastet geblieben. Vor allem Wissens- und Nachrichtenformate haben es den Zuhörern und Zuschauern angetan. Doch warum gibt es kaum Podcasts über klassische oder gar zeitgenössische Musik? Das haben sich auch die deutsche Sopranistin Irene Kurka und der Londoner Komponist Ben Corrigan gefragt.

Die podcastende Sopranistin

Irene Kurka
Irene Kurka © Hartmut S. Bühler

Ihre Zuhörer sind Komponisten, Musiker, Musikstudenten aus aller Welt, aber auch interessierte Laien. „Es gibt viele Podcasts in Deutschland, so ist es erstaunlich, dass es bislang so wenig bis keinen unabhängigen und abonnierbaren Podcast in der klassischen Musikwelt gab und gibt“, wundert sich Irene Kurka, die in der Podcast-Community als die erste podcastende Sopranistin bekannt geworden ist. „Umso erstaunlicher war es für mich und später auch für die Fachpresse, dass noch keiner so einen Podcast umgesetzt hat und ich somit Pionierin geworden bin.“

Die Bezeichnung Podcast setzt sich aus Pod, kurz für „play on demand“, also auf Abruf, und dem abgekürzten englischen Begriff für Rundfunk „broadcast“ zusammen. Viele benutzen den Begriff vereinfacht für einen einzelnen Beitrag. Doch ein echter Podcast ist viel mehr: Es ist eine ganze Serie von Audio- oder auch Videodateien, ergänzt um Texte, Bilder und weitere Links zu den besprochenen Themen, den sogenannten Shownotes.

Ein neues Werk entsteht vor den Ohren des Zuhörers

Ben Corrigan, dessen Podcast „excuse the mess“ Anfang des Jahres mit dem Noted Innovation Fellowship der Agentur WildKat PR ausgezeichnet wurde, ist selbst Komponist und wurde durch Podcasts zu seinem eigenen Projekt inspiriert: „Eines Nachts hatte ich plötzlich das gesamte Konzept im Kopf. Außerdem kenne ich eine Menge wirklich phänomenaler Musiker, mit denen ich zusammenarbeiten möchte. Das Problem ist nur, dass die meisten davon immer wahnsinnig beschäftigt sind.“ Deswegen verbringt Corrigan für seine Podcast-Episoden jeweils nur einen Tag mit einer Komponistin oder einem Komponisten. „Während des Gesprächs tauchen wir in die Klangwelt des jeweiligen Gastes ein, indem wir uns Beispiele aus seinem bisherigen Schaffen anhören”, erzählt Corrigan.

Ben Corrigan und Musikerin Mira Calix tüfteln an der Abschlusskomposition für „excuse the mess“
Podcaster kommen meist ohne aufwendiges Equipment und Aufnahmestudio aus: Hier tüfteln Ben Corrigan und Musikerin Mira Calix an der Abschlusskomposition für „excuse the mess“ © excuse the mess

Doch neben einem Gespräch, das den Großteil eines Podcasts ausmacht, stellt Corrigan seinen Gästen zusätzlich eine kleine musikalische Herausforderung. „Zusammen komponieren wir ein Stück für ein Instrument und Elektronik, ganz spontan, vor Ort und an diesem einen Tag.“ Der Zuhörer bekommt so live mit, wie ein neues Werk entsteht und hört am Ende sogar noch das Ergebnis. Daher auch der Titel „excuse the mess“ („Entschuldigen Sie das Durcheinander“), der sich bereits augenzwinkernd im Voraus für etwaige kompositorische Ausschweifungen entschuldigt.

Der Name ist Programm: Excuse the Mess
Der Podcast „excuse the mess“ wurde Anfang des Jahres mit dem Noted Fellowship Stipendium ausgezeichnet © excuse the mess

Entstanden ist das Podcasting in den USA. Als einer der Urväter gilt der ehemalige MTV-Moderator Adam Curry, der am 13. August 2004 seine Sendung „Daily Source Code“ startete. Nach und nach bildeten sich themenorientierte Sendungen heraus. Parallel entdeckten Unternehmen das Potential, eigene Podcasts zu Marketing-Zwecken aufzubauen und mit gezielter Werbung zu füttern. Heute sind Podcasts in den USA größtenteils noch immer ein lukratives Geschäftsmodell. Die erfolgreiche Show „Serial“, die im Oktober 2014 startete, wurde innerhalb eines Jahres 90 Millionen Mal heruntergeladen. In Deutschland gingen die ersten Podcasts 2005 an den Start. Der ersten Podcast-Welle gelang es allerdings nicht, aus dem Nischendasein herauszukommen. Heute sieht das anders aus, denn das Format hat sich deutlich weiterentwickelt, sowohl was die Themenvielfalt als auch die Qualität angeht.

Neue Möglichkeiten dank Podcast

„Zeitgenössische Musik ist stets aktuell und facettenreich und nimmt als innovativer Bestandteil der Musikwelt einen wichtigen Platz ein. Ich gebe in diesem Podcast meine über Jahre gewonnene Expertise als Sopranistin weiter“, erklärt Irene Kurka ihr Konzept. „Ferner erkläre ich, wie die verschiedenen neuen Spieltechniken, Musikstile und Kompositionstechniken zusammenhängen und funktionieren und welche großartigen Möglichkeiten sie bieten.“ Anhand von Analysen, Tipps und Interviews mit erfolgreichen und interessanten Persönlichkeiten aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik zeigt sie, wie Künstlerinnen und Künstler in der Neuen Musik authentisch und erfolgreich sein können.

2015 begann Kurka ein Buch mit dem Arbeitstitel „Neue Musik macht meine Stimme nicht kaputt“. Einige Jahre lag das Projekt auf Eis, bis sie letzten Herbst auf das Format Podcast stieß. Sie war sofort begeistert und so lag es nahe, ihren eigenen Podcast ins Leben zu rufen.“ Am 10. April 2018 startete sie mit ihrer ersten Folge. Mittlerweile erscheint ihr Podcast immer dienstags vierzehntägig, ergänzt um weitere Episoden auf Englisch oder zu aktuellen Themen wie beispielsweise ihre Erfahrungen zum Umgang mit Kritik und Feedback.

Irene Kurka
Irene Kurka © Hartmut S. Bühler

Ihr Podcast „neue musik leben“ soll zeitgenössische Musik bekannter zu machen. „Und hier darf es auch menscheln. Ich kann meine Themen viel persönlicher und praktischer rüberbringen. Und ich kann mir so viel Zeit nehmen, wie ich will. Meine Interviewgäste sagen mir oft hinterher, wie schön es ist, mal ohne Zeitdruck reden zu dürfen“, sagt Kurka. So vermittelt sie nicht bloß ihr Wissen, sondern bringt den Zuhörern auch den Menschen hinter dem Künstler näher.

Positives Feedback

Dass sie auf dem richtigen Weg ist, bestätigen ihr die vielen positiven Rückmeldungen: „Die erste Folge hatte am ersten Erscheinungstag hundert Downloads. Die Downloadzahlen und somit Zuhörer haben sich seit Beginn innerhalb eines halben Jahres versechsfacht. Das ist für ein Nischenthema wie die Neue Musik ein großer Erfolg.“

Auch Ben Corrigan kann ähnliches berichten: „Die Menschen reagieren positiv auf das Projekt. Es ist doch ziemlich selten, einen Komponisten hautnah bei der Arbeit zu erleben, mitzubekommen, wie neue Ideen entwickelt werden und Diskussionen darüber zu hören, wie sich die Musikwelt wohl entwickeln wird. Ich glaube, die Leute genießen diese persönlichen Einblicke.“

Nachdem das Wort „Podcast“ 2005 ins Oxford Dictionary of English aufgenommen wurde, wurde es vom New Oxford American Dictionary auch noch zum Wort des Jahres 2005 gewählt. Die Jury begründete ihre Entscheidung mit der „phänomenalen Ausbreitung“ des Wortes, dessen Gegenstand es „von relativer Unbekanntheit zu einem der heißesten Medientrends schaffte“.

Ben Corrigan (r.) im Gespräch mit dem Dirigenten und Komponisten Robert Ames
Ben Corrigan (r.) im Gespräch mit dem Dirigenten und Komponisten Robert Ames © excuse the mess

Podcasts sind ein nahezu unendliches Format

Doch was Podcasts für zeitgenössische Musik angeht, da ist Corrigan realistisch: „Es ist nun mal eine Nischenidee, denn Neue Musik kann auf Nichtmusiker durchaus befremdlich wirken.“ Das hält ihn aber keineswegs davon ab, neue Ideen und Projekte zu entwickeln. „Ich versuche ja auch immer, meinen Podcast zugänglich und unterhaltsam zu machen.“

Und auch Irene Kurka hat schon konkrete Pläne: „Mein Podcast geht solange weiter, wie ich es möchte. Ich habe derzeit Ideen für mindestens noch zwei weitere Jahre. Es gibt so viele Themen, über die ich noch sprechen möchte, und ein Podcast ist ein nahezu unendliches Format, was mir entgegenkommt. Es wird meinen Podcast noch lange geben.“ Und je mehr Menschen „neue musik leben“ oder „excuse the mess“ hören, umso mehr kommt zeitgenössische Musik bei ihnen an.

 

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