Das Gemüseorchester möchte aufmerksam machen auf die alltäglichen Klänge, die uns umgeben. Jeder Besuch auf dem Wochenmarkt stelle eine Sinfonie dar, finden sie. Theoretisch hätten sie auch jedes beliebige andere Geräusch zur Grundlage für ihre Musik nehmen können, das Klappern von Schuhsohlen etwa. Doch Gemüse hat den Vorteil, dass das Konzertpublikum die Musik mit allen Sinnen wahrnimmt: Man kann die Instrumente hören, sehen, riechen, betasten – und schmecken, denn am Ende der Konzerte wird aus dem nicht verwendeten Gemüse Suppe für die Konzertbesucher gekocht. Die Instrumente darf das Publikum traditionell mit nach Hause nehmen, um sie selbst auszuprobieren, solange sie noch funktionieren, denn die Lebenszeit eines Gemüseinstruments ist begrenzt. Für jedes Konzert müssen die Instrumente also neu hergestellt werden.
Je frischer, desto besser
Auf dem Wiener Naschmarkt hat das Gemüseorchester einen ganz bestimmten Stand, an dem sie ihr Gemüse am liebsten kaufen. Sie müssen die Objekte anfassen und abklopfen, was nicht bei jedem Standbesitzer gut ankommt. Für das Gemüse gilt: je frischer, desto besser. Reibt man beispielsweise zwei Lauchstangen aneinander, entsteht bei jungem, knackigen Gemüse ein Quietschen: Schon hat man eine fertige Lauchgeige. Ein Kürbis hingegen, der kurz vor dem Verrotten steht, ergibt eine klangvolle Bass Drum.
Ist das Rohmaterial gekauft, beginnt das Präparieren der Instrumente: Mit Bohrern, Messern, Kochlöffeln und anderen Geräten wird ausgehöhlt, aufgeschlitzt und geschnitten. Die Komplexität reicht dabei von der unveränderten Tomate bis zur mehrteiligen Rettichflöte mit Karottenteilen. Weitere Blasinstrumente werden aus Karotte, Gurke, Flaschenkürbis oder Zucchini gebaut. Ein Gurkofon beispielsweise besteht aus einer ausgehöhlten Gurke, einer Paprikaschote als Schalltrichter und einer Karotte als Mundstück. Doch auch „Saiteninstrumente“ sind möglich: Vom Staudensellerie kann man robuste Fasern abziehen, die sich wie eine Saite zupfen lassen.
Ein Großteil der Instrumente erzeugt jedoch perkussive Klänge: getrocknete Zwiebelschalen oder Weißkohlblätter, die langsam abgerupft und aneinander gerieben werden, lamellenartig geschlitzte Auberginenklappern, ausgehöhlte Sellerieknollen als Bongos, die Karottenmarimba oder ein raschelndes Bund Petersilie.
Einzigartiger Klang
Natürlich klingt das Ergebnis nicht nach Sinfonieorchester. Stattdessen erzeugen die Künstler einen einzigartigen Sound, dessen Herkunft sich den Ohren nicht erschließt. Teils erinnern die Klänge an Tierlaute, teils an Instrumente, teils sind sie völlig abstrakt. Was naheliegt, da die meisten Instrumente ja perkussive Sounds erzeugen und sowieso mikrofoniert sind. Um einen Konzertsaal mit dem Knacken eines Petersilienstängels zu beschallen, benötigt das Orchester natürlich entsprechende Tontechnik.
Die teilweise sehr leisen, zarten Töne des Gemüses werden über kleine Kondensatormikrofone abgenommen, die an den Instrumenten befestigt sind. Außerdem arbeiten sie mit Gesangsmikrofonen. Diese Technik verwendet das Orchester auch bei ihren CD-Aufnahmen. Vier Studioalben hat die Gruppe bereits veröffentlicht. Die Stücke sind größtenteils selbst komponiert. Dabei werden Sounds der Instrumente einzeln aufgenommen, zu einem Musikstück zusammengestückelt und anschließend notiert und einstudiert. Dafür mussten die Musiker eine eigene Notationsweise erfinden, denn die erzeugten Tonhöhen sind bei jedem Konzert unterschiedlich. Anstelle von Noten gibt es deswegen eine Art Zeitstrahl, auf dem bezeichnet wird, wann die Instrumente einsetzen und ob eher tiefe oder hohe Töne gespielt werden sollen. Wirklich verstehen können diese „Geheimschrift“ aber nur die Mitglieder des Gemüseorchesters.
Interdisziplinarität als essenzieller Ensemble-Bestandteil
Seit der Gründung im Januar 1998 haben sie etwa 300 Konzerte gespielt. Zur heterogenen Künstlergruppe gehören professionelle Musiker, aber auch Bildhauer, Designer, Soundpoeten und Schriftsteller, denn Interdisziplinarität ist für die Mitglieder ein essenzieller Bestandteil. Mittlerweile ist auch ein Videokünstler an Bord, der die Konzerte um Video-Performances bereichert.
Ist auf Auslandsreisen das passende Gemüse nicht vorhanden, muss improvisiert werden. Das ist auch ein Grund, warum das Gemüseorchester permanent neue Instrumente erfindet. Das Unberechenbare macht für die „Gemüsiker“, wie sie sich nennen, den Reiz ihrer Kunstform aus. Die Instrumente sind Unikate, und sie sind unzuverlässig. Ihre Lebensdauer beträgt nur zwei bis vier Stunden. Auf der Bühne trocknet die Hitze der Scheinwerfer die Instrumente zusätzlich aus, wodurch sie teilweise während eines Konzerts ihren Klang verändern. Es kommt auch mal vor, dass die Karottenflöte kurz vor dem Auftritt zerbricht. Die landet dann eben im Suppentopf.
Aufmacherbild: © Alexander Koller