„Der Musiker hat bei den Aufführungen dunkle Kleidung zu tragen.“ So lautet der erste Satz im Paragraf 28 des sogenannten „Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern“. Was darauf folgt, ist eine Auflistung mit Kleidungsvorschriften für Musikerinnen und Musiker. Soweit nicht individuell vom Orchester vorgeschrieben, müssen die Männer einen schwarzen oder dunkelblauen Anzug tragen, dazu ein weißes Hemd, eine Krawatte und schwarze Schuhe kombiniert mit schwarzen Strümpfen. Die Musikerinnen sind angehalten, ein schwarzes oder dunkelblaues, mindestens knielanges Kleid oder einen Hosenanzug beziehungsweise ein Kostüm, ebenfalls kombiniert mit schwarzen Strümpfen und Schuhen, zu wählen. Widerstand ist zwecklos und wird gar mit schriftlichen Verwarnungen oder Geldbußen geahndet.

Berufskleidung für Musikerinnen: schwarze kleidungsstücke © shutterstock
Egal ob Kleid, Rock oder Hose: hauptsache den Vorschriften „entsprechend“ © shutterstock

Der Grund für die strengen Regelungen, die im Übrigen im Ausland ähnlich gehandhabt werden, liegt einerseits auf der Hand, möchte man als Klangkörper doch nicht nur im musikalischen Sinne als Einheit auftreten und so wenig wie möglich von der Musik am Auftrittsabend ablenken. Anderseits muss auch die Frage nach dem Warum gestattet sein, hat sich doch seit den Zeiten Beethovens wenig an den Kleiderordnungen vieler Orchester geändert. Außerdem entfernt sich der Dresscode der Musiker mehr und mehr von jenem des Publikums, wie in exemplarischer Blick auf die Kleiderordnung der Berliner Philharmonie bestätigt: „Unsere Gäste erscheinen sowohl in Anzug und Abendgarderobe als auch in Jeans und T-Shirt“, heißt es dort. Die Musiker der Berliner Philharmoniker hingegen unterliegen strengen Kleidungsrichtlinien.

Andromeda Mega Express Orchestra
Gar nicht schwarz-weiß: Mit seinen bunten Farben sticht das junge Andromeda Mega Express Orchestra hervor © Gianmarco Bresadola

Not macht erfinderisch

Dass diese Kleidervorschriften für die Musiker auf der Bühne mitunter zu großen Problemen führen, wird stillschweigend in Kauf genommen. So sind die Kosten, die mit einem mutmaßlich korrekten Bühnenoutfit verbunden sind, nicht zu unterschätzen und stellen vor allem junge Orchestermusiker mit Zeitverträgen oder Akademisten vor finanzielle Hürden. Und nicht nur der monetäre Aspekt ist beachtlich: Auch die Temperatur im Scheinwerferlicht bis hin zur eingeschränkten Bewegungsfreiheit beim Instrumentenspiel sind bei der Kleiderwahl zu bedenken. Die Liste der Widrigkeiten ist lang. So sind Geschichten von Posaunisten überliefert, die ihre Anzugjacken zwei Kleidergrößen zu groß bestellten, oder von Schlagwerkern, die ihre Ledersohlen mit Gummiabsätzen modifizierten, um nicht auf den Paukenpedalen abzurutschen. Not macht bekanntlich erfinderisch – von korrekten Kleidergrößen ist im Tarifvertrag schließlich keine Rede.

Tournee-Garderobe des Gewandhausorchesters
Der Frack reist mit: Tournee-Garderobe des Gewandhausorchesters © Dirk Steiner

Doch was in puncto Orchesterdresscode auf den ersten Blick wie in Stein gemeißelt wirkt, wird heute von einigen Klangkörpern aufgebrochen. Ein prominentes Beispiel ist das Baltimore Symphony Orchestra, bei dem die Chefdirigentin Marin Alsop eine Zusammenarbeit mit der Parson School of Design in New York einging und Konzertkleidung aus atmungsaktiven und elastischen Stoffen entwickelte. Zudem wurde bei dieser individuellen Kollektion auf verschiedene musikerfreundliche Details geachtet, angefangen bei versetzten Knopfleisten, die ein störungsfreies Spiel ermöglichen sollen, bis hin zu ausgesparten Rückenpartien von Frackwesten, um das Temperaturproblem in den Griff zu bekommen.

Individuell angepasst

Auch das NDR Elbphilharmonie Orchester und der NDR Chor durften sich kürzlich über eigens für sie designte Bühnenoutfits freuen. Beauftragt mit der Kollektion war das Hamburger Modedesign-Duo Stefan Harm und Tobias Jopp, deren Label „Harm Jopp Jerseys“ die Kleidungsstücke direkt in der Hansestadt anfertigt. „Es gab eine Reihe von Vorgaben, die wir bei den Kleidern beachten mussten“, berichtet Jopp. „Lange Rockteile und zu drei Viertel bedeckte Arme waren Pflicht, zudem sollte der Gesamtauftritt subtil Akzente setzten.“ Bei den Chormitgliedern musste zudem auf den wärmenden Aspekt der Outfits Rücksicht genommen werden, was gerade im Hinblick auf Kirchenkonzerte eine entscheidende Rolle spielt.

Nicht nur auf der Bühne, sondern auch beim offiziellen Fototermin zeigt sich das NDR Elbphilharmonieorchester schick in schwarz © Nikolaj Lund/NDR

„Wir waren im stetigen Austausch mit den Musikerinnen. Letztlich haben wir jedes Outfit individuell angepasst, sei es der längere Rock bei der Cellistin oder die ideale Armlänge bei den Geigerinnen. Natürlich musste alles ins Gesamtbild passen“, erzählt Jopp, der neben dem Tragekomfort zusätzlich auf Reisetauglichkeit, Waschbarkeit und Knitterfestigkeit achten musste. Die Lösung fand das Label in sogenannten technischen Stoffen – für die Sängerinnen und Musikerinnen im Orchesteralltag ein ideales Resultat.

Shorts im Orchestergraben

Orchestergraben im Festspielhaus Bayreuth
Das Publikum förmlich gekleidet, die Musiker leger: möglich macht es der blickgeschütze Orchestergraben im Festspielhaus Bayreuth © Friera/Wikimedia Commons

Wo also auf der einen Seite die strengen Regelungen von Dresscodes durch individuell angefertigte Bühnenkleidung zu bröckeln beginnt, bleibt auf der anderen Seite der Einheitslook innerhalb der Klangkörper weiterhin bestehen – außer bei den Bayreuther Festspielen. Dort nämlich ist es das Publikum, das stundenlang auf den ungemütlichen Holzbänken des Festspielhauses im festlichen Einheitslook ausharrt, während die Musiker in T-Shirt, Shorts und Sandalen für die Zuschauer unsichtbar unter dem Schalldeckel des Orchestergrabens ihre individuelle Bekleidungsfreiheit genießen.

 

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