Kaum ist die Linse der Kamera auf sie gerichtet, erstarren die meisten Menschen. Es ist, als würde man vom Auge der Welt angeglotzt werden. Weil man keinen Einfluss darauf hat, wie man durch die Kamera wirkt; weil man nicht weiß, wer letztlich alles das Foto zu sehen bekommt – und wie diese Menschen darauf reagieren. Fremde, die meist nur einen flüchtigen Blick auf das Bild werfen und sich dann eine Meinung über den Abgelichteten bilden, oft innerhalb von nur ein paar Sekunden.

Jeder, der schon einmal ein professionelles Fotoshooting absolviert hat, kennt die inneren Kämpfe und Krämpfe, wenn die Kamera „klick“ macht. Wie hoch muss da erst der Druck für Personen des öffentlichen Lebens sein? Künstler etwa (oder speziell Musiker), die sich für ihr neues Album, das nächste Programmheft oder die aktuelle Pressemappe ablichten lassen. Ein Klick entscheidet darüber, wie man sich für sein neues Projekt präsentieren möchte. Umso wichtiger ist es, dass man in solchen Momenten auf einen Fotografen setzt, dem man nicht nur vertraut und der einen bestmöglich in Szene setzt, sondern der den Musiker so erfasst und für die Ewigkeit festhält, wie er wirklich ist. Solche Fotografen sind rar gesät. Zwei von ihnen sind Neda Navaee und Jürgen Frank.

Zwei Biografien, eine Leidenschaft

Wenn sich jemand mit Musikerbefindlichkeiten auskennt, dann ist es wohl die Weltenbummlerin Neda Navaee, geboren im Iran, aufgewachsen in den Vereinigten Staaten und England und inzwischen wohnhaft in Berlin: Sie war nämlich selbst zwanzig Jahre lang Musikerin. Als Konzertpianistin heimste sie einen Erfolg nach dem nächsten ein. Und irgendwann kam die Fotografie dazu, weil Kollegen sich von ihr ablichten lassen wollten. Inzwischen ist sie unter Musikern sehr gefragt. Sie selbst wundert es nicht, dass ihre ehemaligen Kollegen auf sie zurückgreifen: „Ich kenne die Höhen und Tiefen, die ein Leben als professioneller Musiker mit sich bringt – die Ängste ebenso wie die Freuden.“

Nina Stemme
Nina Stemme © Neda Navaee

Der Deutsche Jürgen Frank, der inzwischen in New York lebt und arbeitet, ist als professioneller Fotograf eher durch Zufall zu Musikerporträts gekommen, da Intellektuelle und Celebrities sein hauptsächliches Arbeitsfeld waren und auch noch sind. Da er aber vor einem Shooting immer die gleiche Herangehensweise hat, macht das für ihn keinen Unterschied: „Ich muss herausfinden, was mich an diesem Menschen interessiert. Ich mache mich mit seiner Arbeit vertraut und versuche sie zu begreifen. Künstler und Musiker sind sich, glaube ich, sehr ähnlich“, ergänzt Frank. „Ihre Hingabe und Auseinandersetzung mit Ästhetik sind immer sowohl intellektuell als auch visuell ein interessanter und oft herausfordernder Ansatzpunkt in der Fotografie.“

Persönlichkeit im Fokus

So unterschiedlich wie die Biografien und damit die Herangehensweisen von Neda Navaee und Jürgen Frank auch sind – wenn es um das Shooting selbst geht, sind sie gar nicht so weit voneinander entfernt, denn beiden geht es darum, zum wesentlichen Kern des Künstlers für ihre Musikerporträts vorzudringen. „Mir persönlich ist es wichtig, dass sich die Musiker vor meiner Kamera wohlfühlen, damit wir die Zeit zusammen genießen und uns gegenseitig inspirieren zu können. Wenn sie sich wohl fühlen, versetzt mich das meistens in die Lage, die Momente, in denen sie ganz sie selbst sind, einzufangen“, erklärt Neda Navaee. „Die Musikerporträts sollen Geschichten erzählen, dem Betrachter eine zusätzliche Facette zur Musik geben. Kunst, Fotografie und Musik sind alles Ausdrucksweisen, Sprachen. Es ist mir bei meinen Fotos wichtig, eine Verbindung mit dem Gegenüber und seiner ‚Sprache’ herzustellen.“

Die Sache mit dem Instrument

Avi Avital
Avi Avital © Neda Navaee

Den Bildern von Navaee und Frank sieht man das dann auch ganz genau an. Ein Schema F lässt sich bei beiden nicht finden. Jedes Foto ist ein Kunstwerk und besticht nicht nur mit Seele und Gefühl, sondern vor allem mit Individualität. Man könnte meinen, dass das vielleicht gar nicht so schwierig sei, denn schließlich spielen die zu fotografierenden Musiker immer andere Instrumente, die ja auch irgendwie mit auf das Bild gehören und es dadurch schon per se individualisieren. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch wieder nicht, wie Neda Navaee bestätigt: „Je größer und schwerer ein Instrument ist, desto schwieriger ist es, um dieses herum zu agieren und spontan zu sein.“

Jürgen Frank geht beim Stellenwert des Instruments sogar noch einen Schritt weiter und weist dessen Bedeutung ganz klar in die Schranken: „Die Instrumente sind oft wichtig, um ein visuelles Entrée für den Betrachter herzustellen. Die Herausforderung ist, nicht am Instrument als Blickpunkt hängen zu bleiben. Die Auseinandersetzung und Annäherung an den Menschen sind viel wichtiger, denn sonst bleiben die Bilder oberflächlich.“

Anna Netrebko
Anna Netrebko © Jürgen Frank

Musikerporträts: Wenn aus einem Foto Kunst wird

Und Oberflächlichkeit kann man weder Frank noch Navaee vorwerfen. Ganz im Gegenteil. Sie beschäftigen sich nicht nur eingehend mit der Persönlichkeit des Musikers, den sie fotografieren, sondern zeigen ihn so, wie er wirklich ist. Neda Navaee fasst diesen Prozess für sich schnell und punktgenau zusammen: „Am Ende geht es ausschließlich um Authentizität.“

Unabhängig von der iranischen Fotografin kommt Jürgen Frank zu genau demselben Fazit: „Am wichtigsten ist, dass die geschaffenen Bilder Authentizität haben. Sie müssen für sich alleine stehen können – ohne Einführung, Labels oder Preisschilder.“ Und genau diese Authentizität ist es dann auch, die aus den Musikerporträts dieser beiden Fotografen Kunst machen, die für sich stehen kann.

 

Aufmacherbild: Jennifer Koh © Jürgen Frank