Auch in Zeiten von Musicstreaming und Video-on-Demand-Angeboten, wo Konzerterlebnisse mit nur ein paar Klicks entweder in den heimischen vier Wänden oder von unterwegs aus abrufbar sind, werden täglich unzählige Konzerte aus den großen Konzerthäusern der Welt im Rundfunk übertragen. Was für den Hörer mit dem Einschalten des Radios beginnt, bedarf jedoch einer präzisen Vorbereitung, die im Falle der traditionsreichen Sendereihe „Debüt im Deutschlandfunk Kultur“ bis zu zwei Jahre in Anspruch nimmt.

Alles im Zeitplan

Es sind hochsommerliche Temperaturen und es strahlt ein blauer Himmel, als die ersten Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin gegen Mittag des 19. Juni an der Berliner Philharmonie eintreffen. Punkt 13 Uhr beginnt die letzte Probe für das Konzert am Abend im Rahmen der Reihe „Debüt im Deutschlandfunk Kultur“ – erstmals mit neuem Namen nach der Umbenennung des Senders. Die Debütanten des Abends, der ukrainische Geiger Aleksey Semenenko, der englische Posaunist Michael Buchanan und der aus Taiwan stammende Dirigent Tung-Chieh Chuang, haben sich erst drei Tage zuvor kennenglernt und wirken dennoch wie ein eingespieltes Team. Professionell werden die letzten Details zusammen mit dem Orchester ausgelotet, sodass bei der Aufnahme am Abend während des Konzerts wirklich jede Note präzise sitzt.

Das Konzept – eine Erfolgsgeschichte

„Die Kurzfristigkeit der Zusammenkunft der jungen Musiker ist Teil des Konzepts“, erklärt Frau Dr. Christine Anderson, zuständige Redakteurin des Deutschlandfunk Kultur, „Die Programmauswahl erfolgt jedoch im Dialog mit den Künstlern bis zu zwei Jahre im voraus.“ Welche zwei Solisten und welcher Nachwuchsdirigent in der Reihe „Debüt im Deutschlandfunk Kultur“ die Chance bekommen, in der Berliner Philharmonie gemeinsam mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin aufzutreten, wird in der Musikredaktion des Senders entschieden. Oftmals ziehen die Gewinner international renommierter Wettbewerbe die Aufmerksamkeit des Senders auf sich, was in Zeiten des Internets die Arbeit der Musikredakteure deutlich vereinfacht. Als die Sendereihe 1959 unter dem Namen „RIAS stellt vor“ vom RIAS, dem „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ in West-Berlin ins Leben gerufen wurde, war dieser Auswahlprozess noch deutlich aufwändiger.

RIAS Funkhaus Berlin
RIAS Funkhaus Berlin, Sitz von Deutschlandfunk Kultur © Jörg Zägel/Wikimedia Commons

Die Konzeption der Sendereihe sieht vor, dass die Programmvorschläge von den Solisten und den Dirigenten selbst kommen. Große Schwierigkeiten, die eingereichten Vorschläge zu verwirklichen, hat es dabei bisher selten gegeben. „Bei der Planung müssen jedoch viele Aspekte bedacht werden. Die Programme dürfen sich nicht wiederholen, außerdem müssen die Werke eine entsprechende Länge haben und auch die Saisonplanung des Orchesters muss entsprechend berücksichtigt werden“, erläutert Dr. Christine Anderson.

Dass sich das Konzept über fast sechzig Jahre nahezu unverändert bewährt und mittlerweile eine beachtliche Stammhörerschaft sowohl im Konzert als auch vorm Radio aufweist, spricht für sich. Große Namen der Klassikszene wie Daniel Barenboim, und Simon Rattle, Jessye Norman und Cecilia Bartoli haben hier als junge Musiker ihre Berlin-Debüts gegeben. In den letzten Jahren wurden beispielsweise die Pianisten Daniil Trifonow und Khatia Buniatishvili oder die Dirigenten Santtu-Matias Rouvali und Lorenzo Viotti in der Hauptstadt vorgestellt.

Vorbereitung ist alles

Pausengespräch mit Debütanten im Studio 3 des Berliner Funkhauses
Pausengespräch mit Debütanten im Studio 3 des Berliner Funkhauses © Deutschlandfunk/Bettina-Straub

Ein beliebter Teil dieses Konzepts sind die Interviews mit den jungen Künstlern des Abends, die von Deutschlandfunk Kultur in der Konzertpause übertragen werden und die den Werdegang der Musiker in den Fokus stellen. Was dem Radio-Hörer die Wartezeit auf die zweite Konzerthälfte informativ verkürzt, muss mehrere Tage im Voraus geplant und teil aufwändig produziert werden. Die Gespräche, die der Sender ein bis zwei Tage vor der Konzertaufzeichnung mit den Künstlern in ihrer jeweiligen Muttersprache führt, werden zunächst übersetzt und anschließend mit professionellen Sprechern im Studio synchronisiert. „Die Länge der Beiträge ist beim Radio entscheidend“, erklärt Frau Dr. Christine Anderson, „Die Sendezeit in der Konzertpause ist begrenzt, weshalb die Beiträge eine vorab festgelegte Dauer nicht überschreiten dürfen.“ Dementsprechend konzentriert ist die Arbeit in einem der Studios des Senders am Nachmittag des Konzerttages, als die Synchronstimmen über die Originalstimmen aus dem Interview gelegt werden und das Gespräch gemischt und sendefertig gemacht wird.

Der Überraschungseffekt

Von all dem Trubel rund um die Vorbereitung der Sendung bekommen die Debütanten des Abends bei den Proben in der Berliner Philharmonie wenig mit. Die Atmosphäre während der Proben ist konzentriert, die jugendliche Energie der Debütanten spürbar. „Die Arbeit mit dem Orchester ist fantastisch“, erklärt Tung-Chieh Chuang kurz nach Abschluss der Proben und erklärt sein persönliches Erfolgsrezept für den Abend. „Es ist wichtig, in den Proben, die Details zu besprechen, beim Konzert werde ich jedoch noch ein wenig mehr geben, um das Orchester zu überraschen. Es ist natürlich ein bisschen gefährlich, aber ich glaube es funktioniert.“

Tung-Chieh Chuang
Tung-Chieh Chuang © Harald Hoffmann

Dass er nur drei Tage für die Vorbereitungen mit den beiden Solisten und dem Orchester zur Verfügung hatte, sieht Chuang mehr als Herausforderung denn als ein Hemmnis. „Beim ‚Debüt im Deutschlandfunk Kultur‘ dabei sein zu dürfen und in der Berliner Philharmonie zu musizieren, ist für jeden jungen Künstler, mich eingeschlossen, eine großartige Erfahrung.“

Was lange währt…

Damit die Hörer vorm Radio Tung-Chieh Chuangs Überraschungseffekt in all seinen Facetten genießen können, werden am Nachmittag vor Konzertbeginn Tonmeister- und Techniker und der Moderator mit den genauen Abläufen und Zeiten des Abends gebrieft. Nichts wird dem Zufall überlassen. Pünktlich um 20 Uhr stehen die Debütanten dann auf der Bühne – alles funktioniert wie gedacht.

Das Ergebnis aus zwei Jahren intensiver Planung begeistert die Zuschauer im Saal gleichermaßen wie die Radiohörer im gesamten Bundesgebiet. Auch in Zeiten des nahezu unbegrenzten Angebots von Musik bleibt die Radioübertragung eben etwas ganz Besonderes.