Wenn eine Künstlerin ihre Noten aufschlägt und die Musik erklingt, ist das ein einmaliges, unwiederholbares Ereignis. Kein Cellist kann ein Stück exakt so wiederholen wie er es schon einmal gespielt hat und keine Sängerin eine Arie zwei Mal auf die gleiche Weise geben. Denn die Führung des Bogens variiert und auch die Stimme ist dem Menschen nicht bedingungslos Untertan. Das ist Musikeralltag. Die begeisterte Zuhörerschaft aber erlebt Musik meist ganz anders, denn wir hören viel häufiger Tonaufzeichnungen als dass wir ein Konzert besuchen. Und wer ein begeisterter Fan von Anja Harteros ist, kennt ihre Einspielung von Wagners „Walküre“ in- und auswendig.

Keine Frage: Es verwöhnt unsere Ohren, Referenzaufnahmen von hohem Niveau jederzeit verfügbar zu haben. Mit dieser Konstellation hat es wohl zu tun, dass auch namhafte Künstler wiederholt festgehalten haben, ihr Publikum sei bei den Konzertabenden deutlich weniger nachsichtig sei als noch vor fünfzehn Jahren. Ihre Interpretationen werden an Studioaufnahmen gemessen, die unter perfekten Bedingungen stattgefunden haben und bearbeitet wurden. Auch weil Klassikliebhaber oft mehrere namhafte Interpretationen kennen – im Netz ist ja alles verfügbar – wird die einzelne Leistung zunehmend relativiert. Dabei macht das Unperfekt-Unmittelbare doch den hauptsächlichen Reiz des Livekonzerts aus.

Alltägliches aus dem Konzertsaal

Publikum
Zum Opernabend lockt das Liveerlebnis, das selten in makelloser Perfektion über die Bühne geht © Gunnar Geller/Komische Oper Berlin

Um zu verdeutlichen, wie viel mehr Sinnesebenen bei einem Livekonzert angesprochen sind, sei folgende Szene gezeichnet. Beim Besuch eines Konzerts kommt ein junger Mann knapp vor Beginn in den Saal. Die Menschen, die in seiner Reihe sitzen und nochmal aufstehen müssen, um ihn an seinen Platz zu lassen, reagieren unterschiedlich: Manche lächeln verständnisvoll, andere sind genervt. Kaum sitzt er, betreten Dirigentin und Solist die Bühne und der junge Mann sortiert im Sitzen noch sein Jackett sowie das Programmheft, während alle anderen klatschen.

Die ersten Takte sind leicht holprig, denn der Solist spielt das Stück recht frei und das Orchester bemüht sich in Tempo und Dynamik den Anschluss zu finden. Aber dafür ist ja die Dirigentin da und schon bald ist der musikalische Fluss wunderbar austariert. Das Publikum, das zunächst irritiert war, entspannt sich zunehmend. Der Konzertabend ist gerettet.

Eine Violinsonate als halb-live Ereignis

Von den geschilderten Eindrücken entfallen ziemlich viele, wenn man zu Hause auf der Couch sitzt und eine Tonaufzeichnung genießt. Im eigenen Wohnzimmer erklingt dann die Dokumentation des akustischen Profils eines Saals, in dem man sich nicht aufhält. Die Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester ist visuell nicht nachvollziehbar, sondern wird als Ergebnis präsentiert. Außerdem wird für eine Einspielung natürlich viel mehr geprobt und eine Interpretation dabei einerseits deutlicher herausgearbeitet. Andererseits wird das spontane Moment, das viel zur Lebendigkeit des Spiels beitragen kann, zurückgedrängt. Man könnte fast sagen: Die musikalische Seele bleibt in der Konserve.

Party-Musik mit dem Disklavier von Yamaha
Mit dem Disklavier von Yamaha wird es zu Hause so edel wie in der Hotel-Lobby © Yamaha Music Europe GmbH

Aber ist das wirklich so? Schließlich machen jüngere technische Entwicklungen auch manches möglich, was noch nicht für jeden Klassikfan zum Alltag geworden ist. Zum Beispiel kann man über das DisklavierTM von Yamaha die Tonspur eines Videos auf dem Instrument umsetzen und ergänzend zum Spiel auf dem Flügel sogar beispielsweise die Tonaufzeichnung einer Geige abspielen lassen. Die erklingende Violinsonate kommt dann also zur Hälfte von einem echten Flügel und zur anderen Hälfte wie gewohnt aus der Box. Die Töne erklingen direkt im eigenen zu Hause und nicht als Wiedergabe eines akustischen Ereignisses, das andernorts stattgefunden hat. Das ist sehr beeindruckend, die Einspielung ist noch einmal lebendiger und unmittelbarer, bleibt aber eine Dokumentation. Man kann sich aber auch nicht dagegen wehren, es ein bisschen gespenstisch zu finden, wenn die Tasten sich von selbst bewegen.

Steuerung des Disklaviers von Yamaha über ein Tablet
Das private Deluxe-Konzert lässt sich über ein Tablet steuern © Yamaha Music Europe GmbH

Tonspurvater Edison und das Problem mit der Musikqualität

Ein grundsätzliches Dilemma, das die Tonaufzeichnung nicht überwinden kann, ist bereits in den ersten überlieferten Stellungnahmen zu selbiger festgehalten. Thomas Alva Edison hatte im Jahr 1877 den Phonographen entwickelt und schon das von ihm weiterentwickelte Modell „Perfected Phonograph“ machte bei Vorführungen Furore. In einer als Tonaufzeichnung festgehaltenen Botschaft an Edison vom 5. Oktober 1888 hielt Arthur Sullivan folgende Bedenken fest: „Ich kann nur sagen, dass ich erstaunt und irgendwie beängstigt über das Ergebnis der Experimente des heutigen Abends bin: Erstaunt über die wundervollen Möglichkeiten, die Sie entwickelt haben, und beängstigt durch die Vorstellung wie viel scheußliche und schlechte Musik für immer aufgezeichnet werden könnte. Insgesamt denke ich aber, dass es die wundervollste Sache ist, die ich je erlebt habe, und ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu dieser wundervollen Entdeckung.“

Keine Tonaufzeichnung enthebt die Zuhörer davon, einerseits die Qualität der Interpretation und andererseits die des eingespielten Werks zu bewerten. Das ist sozusagen die Interpretationsleistung, die man vollziehen muss, wenn man sich mit Musik beschäftigt.

Für die heute hochentwickelte Aufnahmetechnik ist aber auch festzuhalten, dass sie mit der Situation eines Livekonzerts aufgrund der oben genannten Bearbeitungsmöglichkeiten gar nicht mehr vergleichbar ist. Viel eher handelt es sich inzwischen um zwei verschiedene Kunstformen, die individuell und angemessen beurteilt sein wollen. Denn selbstverständlich ist ein Mozart aus der Konserve ein Hochgenuss, wenn es sich um eine hochkarätige Einspielung handelt. Im Konzertsaal darf die Pianistin aber auch mal danebengreifen. Das ist nicht nur menschlich, sondern wird durch andere Erlebnisebenen mehr als wettgemacht.

 

Aufmacherbild: © shutterstock