Doch nun hat das Warten ein Ende. Das Stammhaus in Berlins Mitte öffnet wieder seine Pforten, denkmalgerecht saniert und modernisiert. Am 3. Oktober war es soweit. Die Fassade, das ist der erste Eindruck, wenn man sich dem Haus vom Boulevard Unter den Linden nähert, überrascht jetzt in zartem Rosa, was dem Originalanstrich des Musentempels, einst von Preußenkönig Friedrich II. in Auftrag gegeben, entspricht. Dem heutigen Standard kommen die barrierefreien Zugänge im Haus nach. Betritt man dann den Zuschauerraum, scheint er ganz der alte zu sein, nur auffallend lichter, kräftiger in den Farben, strahlender, glänzender, frischer als vorher und vor allem größer.
Verbesserte Akustik
Diese Weite ist nicht bloß ein optischer Eindruck, sondern lässt sich in Zahlen fassen: Das Volumen dieses Raumes ist tatsächlich von vorher 6.500 auf 9.500 Quadratmeter angewachsen. Der Grund dafür, die aufwändigste Maßnahme der Erneuerung hier: Die historische Saaldecke wurde angehoben. Dies war möglich, weil darüber bis zum Dach des Gebäudes im wahrsten Sinne des Wortes noch Luft nach oben war. Diese Ausweitung in die Höhe spüren ganz unmittelbar die Besucher auf dem dritten Rang, die sich endlich nicht mehr wie in einem Dachstübchen fühlen müssen.
Doch das Wichtigste dieser baulichen Veränderung: Diese Ausweitung des Raumes hat Auswirkungen auf die Akustik. Durch die Anhebung der Decke und die damit verbundenen Umbauten konnte die Nachhallzeit von ursprünglich trockenen 1,1 Sekunden auf brillante 1,6 Sekunden verbessert werden. Damit spielt die Berliner Staatsoper fortan akustisch in der Liga der Mailänder Scala und der Dresdener Semperoper, Häuser, die berühmt sind für ihre Akustik.
Neu eingebaute Nachhallgalerie
Raumakustik ist ein komplexes Aufgabenfeld, alleine das Erhöhen einer Saaldecke würde für eine Verbesserung der Nachhallzeit und einen optimierten Raumklang selbstverständlich nicht reichen. Der Clou im Zuschauerraum der Staatsoper Unter den Linden liegt in der klugen Ausnutzung der gut 5 Meter hohen Kluft, die nach der Anhebung der Decke zwischen dieser und dem oberen Ende der die Ränge umgebenden Wände entstanden ist. Die neu gewonnene Aushöhlung in der Höhe ist zu einer Nachhallgalerie geworden. Die Herausforderung: Dieser Zwischenraum sollte von den Akustikern optimal eingesetzt werden, gleichzeitig sollte optisch ein harmonischer Übergang zwischen Wandabschluss und Decke gelingen, um das historisch nachempfundene Gesamtbild nicht zu zerstören. Die Lösung: Ein Übergang zwischen Wand und Runddecke des Zuschauerraums, gebildet von einer speziellen Gitterstruktur aus einem keramischen Verbundfaserwerkstoff, sphärisch, mehrfach gekrümmt und selbstverständlich schalldurchlässig.
Die Gitterelemente nehmen im Design die Rautenornamente auf, die sich bereits als lockeres goldfarbenes Ziernetz strahlenförmig über die helle historische Runddecke ziehen. Somit wirkt die neu eingebaute Nachhallgalerie optisch wie eine logische Fortsetzung der Decke – gewissermaßen als Fotonegativ, denn hier erscheinen die Rauten als helles Ornament vor dem dunklen Grund der räumlichen Vertiefungen dahinter. Durch die Weitung des Raumes hat auch die Bühnenöffnung an Höhe gewonnen. Die Bühne selbst wurde durch den Umbau nach hinten größer, weil man Bereiche von ehemals dahinter liegenden Büros integrieren konnte.
Rundum erneuert: Staatsoper Unter den Linden
Mehr Platz bieten nicht zuletzt auch die Sitzreihen mit größerer Beinfreiheit als früher. Dafür wurde die Bestuhlung großzügiger disponiert, indem auf einige Sitze verzichtet wurde: Vorher waren es 1.398, jetzt sind es 1.356 Zuschauersessel insgesamt. Diese wurden komplett erneuert, entsprechen optisch den Vorgängermodellen, sind aber fester und körperfreundlicher als jene gepolstert, ein Segen bei einem längeren Opernabend.
Was man beim Besuch einer Vorstellung nicht sieht: Rundum erneuert wurde in der Staatsoper vor allem auch hinter den Kulissen. Etwa in der Obermaschinerie im Bühnenturm, „Schnürboden“ in der Theatersprache: Hier wurde ein komplett neues Tragwerk installiert. Vormals gab es hier ein Sammelsurium aus verschiedensten Epochen, teils sogar noch Handzüge. Die 80 neuen Maschinenzüge der Staatsoper Unter den Linden sind stattdessen extrem leistungsfähig, sie können eine Last von sage und schreibe bis zu 140 Tonnen tragen. Das entspricht dem Gewicht eines schweren Baggers. Neben modernen Bühnenwagen aus den Seitenbühnen und der Hinterbühne sorgen zudem 7 Hubpodien für schnelle szenische Verwandlungen. Unter der Hauptbühne geht es 9 Meter in die Tiefe. Von dort gibt es einen direkten Zugang zum neu errichteten unterirdischen Verbindungsbauwerk. Es befindet sich unter dem Platz zwischen Opernhaus und saniertem Intendanzgebäude und ist mit dem Untergeschoss des neuen Probebühnenzentrums verbunden. Im Untergrund können somit ganze Bühnenbilder montiert und dann auf die Bühne transportiert werden. Es kann damit flexibel und schnell auf Umbauten reagiert werden.
Zuschauerraum, Bühne, Technik – alles in neuem Glanz und noch viel mehr: Die Opernzone an der frisch sanierten Staatsoper Unter den Linden ist ausgeweitet. Die Vorstellung kann beginnen.
Aufmacherbild: Max Lautenschläger