Schon um die Wende zum 20. Jahrhundert schätzten Künstler den Kurort Bad Tölz, der vor allem in den Sommermonaten mit Konzerten und Bällen zur Zerstreuung des meist adeligen Publikums beitrug. Die Schriftsteller Mark Twain und Lion Feuchtwanger ließen hier ebenso die Seele baumeln wie die Maler Franz von Lenbach und Franz Marc, während die Besucher heutzutage meist in die malerisch an der Isar gelegene Kleinstadt kommen, um die zahlreichen spätmittelalterlichen und barocken Sehenswürdigkeiten auf sich wirken zu lassen. Seit fünf Jahren findet jedoch auch das musikbegeisterte Publikum seinen Weg in den fünfzig Kilometer südlich von München gelegenen Ort, denn mit der Konzertreihe „quartettissimo!“ hat der Verein „Klangerlebnis e. V.“ kulturell ganz neue Saiten im beschaulichen Bad Tölz aufgezogen.
„Im Rahmen von ,quartettissimo!‘ laden wir jeden Winter drei etablierte, hochqualitative Streichquartette ein“, berichtet Dr. Christoph Kessler, Vorstandvorsitzender des gemeinnützigen Vereins, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, das (Kammer-)Musikleben im Allgemeinen und Streichquartette im Besonderen zu fördern und dem Bad Tölzer Publikum näher zu bringen. „Letzten Herbst haben wir das Belcea Quartet eingeladen. Ein Auftritt des Borodin-Quartetts konnte wegen des Ukrainekriegs leider nicht stattfinden. Dafür hatten wir das Cuarteto Quiroga zu Gast, und im Frühjahr kommt das Juilliard String Quartet aus New York“. In Sachen Kammermusik-Exzellenz braucht man sich in der oberbayerischen Kreisstadt also nicht vor den großen Musikzentren zu verstecken.
Bewerbungen ließen zunächst auf sich warten
Doch auch hier hat Corona empfindliche Löcher gerissen. Viele geplante Aufführungen mussten mehrfach verschoben werden. Um keine Absagen erteilen zu müssen, wurden die Veranstaltungen im Oktober 2021 in Form eines „Klassikgipfels“ nachgeholt. Eine neue Konzertplattform war geboren, die im Verein zu weiteren Überlegungen führte: „Aufgrund der Corona-Situation wollten wir speziell junge Quartette fördern, weil deren Auftrittsmöglichkeiten jetzt um zwei Jahre verschoben sind. Dafür haben wir den „Klassikgipfel“, für den wir ja nur drei Ensembles eingeladen hätten, in einen Wettbewerb umgewandelt, für den sich viele Streichquartette bewerben können. Mit den ausgelobten Preisen können die Musiker auch mehr anfangen als mit einer Gage.“
Für den 1. Internationalen Streichquartett-Wettbewerb Bad Tölz 2023 schrieben Christoph Kessler und seiner Frau Susanne, die ebenfalls zum Vereinsvorstand gehört, über 200 Musikhochschulen und Quartettausbildungsstätten weltweit an. Bewerben konnten sich Ensembles, deren Mitglieder nicht älter als 35 Jahre sind und deren Gesamtlebensalter nicht über 128 Jahre liegt. Die Bewerbungsunterlagen sollten neben den Biografien zwei Lehrergutachten und Audiomitschnitte von zwei Live-Aufnahmen enthalten. „Aus unserer Repertoireliste haben die Quartette dann Werke für die erste, zweite und dritte Wettbewerbsrunde ausgewählt. Es gibt Wettbewerbe, bei denen Quartette mitbringen können, was sie möchten. Da wird dann manchmal ein Haydn- mit einem modernen Stück verglichen. Das wollten wir nicht. Deshalb sollte jedes Quartett ein Werk aus der Klassik, der Romantik und der Moderne vorspielen.“
Bewerbungen gab es jedoch zunächst – keine! Wohl auch deshalb nicht, weil im Jahr 2022 viele verschobene Wettbewerbe nachgeholt wurden. „Wir hatten schon befürchtet, aufgrund der großen Konkurrenz überhaupt keine Anmeldungen zu erhalten“, erinnert sich Kessler. In den letzten vier Tagen vor Anmeldeschluss wurden die Initiatoren dann aber für ihre Arbeit reichlich belohnt: 34 Streichquartette aus der ganzen Welt bewarben sich für die Teilnahme, angelockt wohl auch von so illustren Namen wie den von Günter Pichler. Mit 21 Jahren von Herbert von Karajan als Konzertmeister zu den Wiener Philharmonikern berufen, gründete der Geiger 1970 das Alban Berg Quartett, dessen Primarius er 38 Jahre lang war.
„In der Szene gilt er als Quartettpapst. Wir waren sehr froh und stolz, dass Herr Pichler uns zugesagt hat, den Platz des Chairman in der Jury zu übernehmen“, freut sich Kessler. Auch die anderen sechs Jurymitglieder unterschiedlicher Nationalitäten sind in Streicherkreisen keine Unbekannten: die Geiger Gustav Frielinghaus (Amaryllis Quartett), Antti Tikkanen (Streichquartett Meta4) und František Souček (Zemlinsky Quartet), Bratschist Volker Jacobsen (Artemis Quartett) sowie die Cellistin Helena Poggio (Cuarteto Quiroga). Siebtes Jurymitglied ist Andrea Hampl, Chefin der gleichnamigen Konzertagentur in Berlin. Nach intensiver Sichtung des eingesandten Materials hat die Jury zehn Quartette zur öffentlichen Haupt- und Finalrunde am 16. und 17. April 2023 in den festlichen Gabriel von Seidl-Konzertsaal im Kurhaus nach Bad Tölz eingeladen: das Abeo Quartet aus Deleware, das Affinity Quartet aus Melbourne, das Animato Kwartet aus Den Haag, das Ast Quartet aus Seoul/Berlin, das Chaos String Quartet aus Wien, das Dior Quartet aus Toronto, das Erinys Quartet aus Helsinki, das Malion Quartett aus Frankfurt, das Nebel Quartet aus Seoul/München und das Quatuor Mona aus Paris.
Festival soll alle drei Jahre stattfinden
„Als Preisgeld werden insgesamt 27.000 Euro ausgelobt“, berichtet Christoph Kessler. „Meine Frau und ich spenden persönlich den ersten Preis in Höhe von 10.000 Euro. Der zweite und dritte Preis in Höhe von 6.000 und 4.000 Euro werden von ,Klangerlebnis e. V.‘ gestiftet, der Publikumspreis in Höhe von 1.000 Euro von der Stadt Bad Tölz. Auch der G. Henle Verlag ist mit drei ,Henle Urtext Preisen‘ in Höhe von insgesamt 5.000 Euro beteiligt. Und die Esterhazy Stiftung hat einen Sonderpreis in Höhe von 2.000 Euro für die beste Haydn-Interpretation gestiftet.“ Besonders hervorzuheben ist die Europatournee, die die Konzertagentur Andrea Hampl für das Siegerquartett organisieren wird, das auch im Rahmen des Tölzer Preisträger Gipfels am 20. Januar 2024 auftreten wird.
Zuvor stehen vom 18. bis 20. April 2023 aber noch die Siegerkonzerte an, bei denen die drei Wettbewerbsgewinner sich jeweils mit einem abendfüllenden Konzertprogramm im Kurhaus vorstellen. Was im Übrigen keine Selbstverständlichkeit ist: Kost und Logis für die vierzig Wettbewerbsteilnehmer werden ebenfalls vom Veranstalter übernommen. Möglich wird dies durch die Unterstützung der Stadt Bad Tölz, deren Erster Bürgermeister Ingo Mehner Schirmherr des Wettbewerbs ist, durch Förderungen des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kultur, des Kulturfonds Bayern und durch lokale Sponsoren.
„Wir wollen alles tun, damit gute Musiker kommen, denn es soll ein schönes Streichquartettfest werden, quasi eine Streichquartett-Olympiade. Schließlich reisen die Teilnehmer nicht nur an, um in Bad Tölz Musik zu machen, sondern um sich auf einem international beachteten Wettbewerb vorzustellen.“ Den möchte Kessler zukünftig alle drei Jahre durchführen.
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