Wein und Musik scheinen auf geheimnisvolle Weise immer wieder zueinander zu finden. Entweder öffnen sich verstärkt alle Sinne bei einem Gläschen Wein oder die Musik verstärkt das Geschmackserlebnis – von der appetitanregenden Wirkung mal ganz abgesehen: „Er hört mir zu und gerät in Feuer. Wie er mir später erzählte, hatte er noch nicht zu Mittag gegessen und war sehr hungrig. Die Begeisterung steigerte seinen Appetit. Er dachte an das Risotto, das auf ihn schon wartete”, schilderte Franz Liszt seine Begegnung mit dem italienischen Musikverleger Ricordi, nachdem er ihm auf dem Klavier etwas vorgespielt hatte.

Es ist anzunehmen, dass auch Johannes Brahms (1833-1897), beflügelt durch den ein oder anderen edlen Tropfen, zu manch einem seiner Werke gefunden hat. Fest steht, dass ihn sogar eine bestimmte Weingegend zu einem seiner Meisterwerke inspiriert hat: Im Sommer 1883 hat Brahms seine dritte Sinfonie F-Dur op. 90 ausgearbeitet und damit eine musikalische Kostbarkeit hinterlassen, die eng mit Deutschlands kleinstem aber bedeutendsten Anbaugebiet verwoben ist. Auf rund 3.000 Hektar erstreckt sich das Weinbauangebiet Rheingau, hauptsächlich westlich des Rheinknies bei Wiesbaden, wo vorwiegend die Rebsorte Riesling angebaut wird. Brahms selbst bezeichnete seine Komposition als seine „Wiesbadener Sinfonie“.

Brahms im Rheingau

Riesling-Trauben
Kein anderes unter den 13 deutschen Weinanbaugebieten wird von der Rebsorte Riesling so dominiert wie der Rheingau – die Traube macht ca. 80% der Rebfläche aus

Zur Vorgeschichte dieses Aufenthalts im Sommer 1883 gehört seine Freundschaft mit der Familie von Beckerath. Rudolf von Beckerath war Weingutsbesitzer in Rüdesheim und stammte aus einem musikbegeisterten Umfeld. Als er Brahms auf sein Weingut am Rhein einlud, stimmte der Komponist gleich zu. In der zwanglosen Atmosphäre dieses Anwesens fühlte sich der gebürtige Hamburger sofort wohl. Sein Quartier befand sich in der heutigen Straße „Schöne Aussicht 7“, auf halber Höhe zum Neroberg.

Begeistert berichtete Brahms in zahlreichen Briefen an seine Freunde von der Unterkunft, die er ursprünglich nur für einige Tage bewohnen wollte. An Heinrich von Herzogenberg schrieb er: „Habe eine ganz unglaublich hübsche Wohnung gefunden. Es ist wirklich der Mühe wert und in jeder Hinsicht zu wünschen, daß Sie sie sich ansehen. Ohne Neid können Sie sie sich freilich nicht anschauen – aber tun Sie es doch…“

Oft und gerne wanderte Brahms in die umliegenden Weinberge und ließ sich nur zu gern von dieser Kulturlandschaft inspirieren. Heute können Besucher auf dem Brahmsweg bei Rüdesheim und auf einem der zahlreichen Weingüter, wie beispielsweise dem von August Eser, ein wenig von dieser unbeschwerten Zeit des Komponisten nachempfinden.

Geheimniskrämerei

Gedenktafel für Johannes Brahms in Wiesbaden
Die Gedenktafel in der Wiesbadener Straße Schöne Aussicht 7 erinnert an den Aufenthalt von Johannes Brahms im Sommer 1883

Hinzu kam eine innige Zuneigung, die der 50-jährige Komponist zu der 24 Jahre jüngeren Sängerin Hermine Spies fasste, in der er die ideale Interpretin seiner Alt-Rhapsodie sah, und die er oft und gerne am Flügel begleitete. Doch womit sich der Meister im Detail während dieser Zeit beschäftigt hat, wusste niemand so genau. Der Vermieterin gab Brahms sogar strikte Anweisungen, niemanden, und sei es auch der beste Freund, in sein Arbeitszimmer einzulassen.

Erst nach seiner Abreise am 2. Oktober 1883 erfuhren seine Freunde, dass er die Sommermonate nicht untätig verbracht hat: Brahms hatte in aller Stille seine dritte Sinfonie vollendet, ohne dass jemand davon etwas mitbekommen hatte. Erst sehr viel später schickte der Komponist einen 32-seitigen Brief an die Familie von Beckerath, in dem er sich für seine Geheimniskrämerei entschuldigt hat.

Ein voller Erfolg

Johannes Brahms, 1883-1885
Johannes Brahms ca. 1883-1885

Noch vor der Uraufführung spielte Brahms die dritte Sinfonie seinem Freund Antonín Dvořák am Klavier vor. Dvořák schrieb begeistert an den Verleger Fritz Simrock: „Ich sage und übertreibe nicht, dass dieses Werk seine beiden ersten Sinfonien überragt; wenn auch nicht vielleicht an Größe und mächtiger Konzentration – so aber gewiß an – Schönheit! Es ist eine Stimmung drin, wie man sie bei Brahms nicht oft findet! Welch herrliche Melodien sind da zu finden! Es ist lauter Liebe und das Herz geht einem dabei auf. Denken Sie an meine Worte und wenn Sie die Sinfonie hören, werden Sie sagen, daß ich gut gehört habe.“

Am 2. Dezember 1883 erlebte die „Wiesbadener Sinfonie“ in Wien ihre triumphale Uraufführung durch die Philharmoniker unter dem Dirigat von Hans Richter. Trotz unliebsamer Störungen durch Bruckner- und Wagner-Anhängern, die nach jedem Satz zu zischen begannen, ließ sich das übrige Konzertpublikum nicht beirren und war begeistert. Sieben Wochen später, am 18. Januar 1884, wurde die Sinfonie erstmals in Wiesbaden aufgeführt. Das Konzert im Kurhaus, das Brahms selbst dirigierte, wurde zu einem Riesenerfolg. Die Kritik feierte das Werk überschwänglich, und die Besucher, unter ihnen auch Clara Schumann, wurden nicht müde, das Werk zu rühmen.

Obwohl Brahms nie wieder für längere Zeit nach Wiesbaden zurückkehrte, dachte er öfter wehmütig an die dort verlebten unbeschwerten Monate. Und seine Freundschaft mit den von Beckeraths hielt bis an sein Lebensende.

 

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