Holger Busse, Mitbegründer und Geschäftsführer des Klassik-Labels Genuin, kann seit seinem Studium am Erich-Thienhaus-Institut in Detmold, der Tonmeister-Karderschmiede schlechthin, auf eine beeindruckende Karriere als Tonmeister zurückblicken und verrät, was bei seiner Arbeit mit Sängern wirklich wichtig ist.
Auf die Tagesform kommt es an
Kaum eine andere Musikergruppe ist derart von seinem Instrument abhängig wie Sänger. Auf einer Aufnahme kann man bei Instrumentalmusikern nur selten hören, ob der Künstler einen schlechten Tag hatte oder nicht. Bei einem Sänger indes schon. Die Stimme ist ein hochsensibles Instrument, dem man jedes Gefühl – egal ob positiv oder negativ – sofort anhört. Von der Tagesform ganz zu schweigen! Müdigkeit klingt ebenso durch wie ein fitter Körper.
Hinzu kommt, dass ein Sänger nicht so viel Ausdauer wie ein Instrumentalist hat, der schon mal bis zu acht Stunden am Stück an einer Aufnahme arbeiten kann. „Ein Album wird immer an mehreren aufeinander folgenden Tagen aufgenommen“, verrät Holger Busse. „Bei Instrumentalisten setzen wir meist drei Tage je acht Stunden an. Bei Sängern vier Tage je sechs Stunden, wobei wir da auch oft Pausen machen. Idealerweise wird drei Stunden am späten Vormittag gearbeitet und dann noch einmal drei Stunden am Nachmittag oder Abend.“ Ein Klavier kann eben nicht müde werden – eine Stimme schon. Wenn man eine Stimme bei einer Aufnahme überstrapaziert, kommt es nicht selten vor, dass am dritten Tag dann gar nichts mehr geht und man länger pausieren muss.
Der Sänger, das sensible Wesen
Als Tonmeister kümmert sich Holger Busse eben nicht nur um den perfekten Klang und ein gelungenes Ergebnis, sondern auch um einen bestmöglichen Produktionsablauf. Und dazu gehört auch ein besonders feines Fingerspitzengefühl: „Bei Instrumentalisten kann man schon mal direkter mit seinem Feedback sein. Wenn man aber einen Sänger zu direkt kritisiert, kann man das Mikrofon eigentlich gleich wieder einpacken.“ Wird ein Sänger erst einmal unsicher, dann wirkt sich das sofort auf den Stimmklang aus. Trotzdem muss Kritik manchmal sein.
Holger Busse hat diese Problematik für sich elegant gelöst. Wenn er stimmliche Anmerkungen hat, dann konfrontiert er den Sänger nicht damit. Lieber lädt er ihn in einer kurzen Pause zu sich in die Regie ein, spielt ihm die jeweilige Passage vor und fragt ihn selbst nach seiner Meinung. Meist reicht das schon, damit ein Sänger sich selbst korrigiert, denn gerade als Profi weiß man, wie man sich anhört.
Von großen und von feinen Stimmen
Eine gelungene Gesangsaufnahme ist aber nicht nur vom Fingerspitzengefühl eines Tonmeisters abhängig. Denn er kann den Sänger auch auf einer ganz anderen Ebene unterstützen: mit der Platzierung des Mikrofons. Holger Busse verrät, dass er grundsätzlich zwischen zwei Stimmtypen unterscheidet. Es gibt Sänger mit großen Stimmen, die mühelos selbst den größten Saal füllen und sich spielend leicht gegen ein Orchester durchsetzen können. Bei solchen Stimmen wäre es Gift, das Mikrofon zu nah aufzustellen, weil sie so viel zu rau und scharf klingen würden.
Dann gibt es aber auch die feinen Stimmen, die zwar nicht soviel Volumen, aber Klang besitzen. Die wiederum sind meist einfacher aufzunehmen. Dank seiner langen Erfahrung weiß Holger Busse im Vorfeld schon, wie er wo das Mikrofon platzieren muss, damit die Stimme bestmöglich eingefangen wird. Wobei es aber auch mal vorkommen kann, dass er die Mikrofonposition nach den ersten Takes dann doch noch ändert, um Stimmeigenheiten auszugleichen.
Tonmeister: Harte Arbeit, die sich lohnt
Anders als im Bereich der Popularmusik wird nach einer Aufnahme technisch übrigens nicht mehr vehement nachgeholfen, um den Klang einer Stimme künstlich zu verbessern. Schließlich soll sich der Sänger ja noch selbst wiedererkennen, wie Holger Busse bestätigt: „Bei Genuin ist es unser Ziel, dem Klang der Stimme so nah wie möglich zu kommen und sie so genau wie möglich abzubilden.“
Umso wichtiger ist es Busse dann auch, bereits vor und dann natürlich während der Aufnahme hochkonzentriert an einem perfekten Ergebnis zu arbeiten. Das erfordert nicht nur Erfahrung, denn ein Tonmeister muss in jeder Arbeitssekunde absolut präsent sein. „Nach acht bis neun Stunden stößt man da schon mal an seine Grenzen“, verrät Busse. Den perfekten Klang aufzunehmen ist harte Arbeit – die sich aber lohnt, wenn man am Ende ein gelungenes Album in den Händen hält, auf das nicht nur der Sänger, sondern eben auch der Tonmeister stolz sein kann.
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