Alte Musik neu Entdecken
Neben dem Plattdeutschen Wort „swalken“, was soviel wie herumstrolchen, herumirren oder spazieren gehen bedeutet, ist SWALK das Kurzwort für sogenannte „Soundwalks“. Soundwalks, das sind Klangspaziergänge, die durch Raum und Zeit führen und eine auditive Brücke zwischen den realen Orten des Geschehens und der Geschichte bilden.
Also, SWALK-App auf’s Handy runterladen, Kopfhörer auf und los geht’s! An den wichtigsten Stationen im Leben von Komponist Schütz lassen sich mithilfe der GPS-gesteuerten App ortsgebundene Soundblasen aufspüren – es ist ein bisschen wie Pokémon Go für Klassik. Tritt man in den Radius dieser Soundblasen ein, erklingt in qualitativ hochwertigem 3D-Sound eine einmalige Mischung aus Informationen und klanglichem Entertainment. Kurze Hintergrundfakten zu Schütz und seiner Verbindung zum jeweiligen Ort kombinieren sich mit Originalwerken, eingebettet in neuartige elektronische Klangcollagen von Orchestronik, die einem das Leben des Komponisten als Klangerfahrung näherbringen sollen.
Fabian Russ: „Ich träumte von Musik, die sich um mich herumdreht“
Fabian Russ heißt der Mann, der hinter dem Konzept der 3D Audio SWALKS und der Soundfabrik Orchestronik steckt. Der Komponist und Klangkünstler hat Schütz’ jahrhundertealte Musik mit beeindruckendem Erfindungsreichtum und technischer Raffinesse zu aktuell avantgardistischen Neukompositionen umgeformt. Mit seiner Installation „Kaleidoskop der Räume“ in der Unterkirche der Dresdner Frauenkirche hatte er bereits beim Heinrich Schütz Musikfest 2019 für Aufsehen gesorgt.
„Diese Arbeit bedeutet mir sehr viel, sie ist meine Berufung. Ich wollte immer solche Dinge machen mit Musik und Technologie. SWALK und Orchestronik sind Zeitreisen und meine persönlichen Traumfabriken“, erzählt Fabian Russ. Der Wahlleipziger hatte seinen Drang zum Experimentieren mit Technik und Tönen bereits in frühester Jugend entwickelt. Das Spielen klassischer Klaviermusik von Bach, Czerny und Co. war ihm schnell nicht mehr genug, und so produzierte er bereits 1999 im Alter von vierzehn Jahren sein erstes eigenes Werk im Homerecording. Spätestens von da an hatte der Orchestroniker angebissen: „Ich wollte immer weiter. Einen neuen Sound kreieren. Weniger Tanzbarkeit, mehr Verwebung, mehr Organismus. Ich träumte von Musik, die sich um mich herumdreht.“
Von Zombies zu Schütz
Nach zahllosen Zufällen, Begegnungen mit renommierten Persönlichkeiten, Experimenten und ersten großangelegten Projekten wie Inside Partita, Butterfly under Glass und den Wäldernen Werkstätten entsteht 2018 schließlich offiziell die Marke Orchestronik: „Orchestronik wurde offiziell geboren“, so erzählt es der Familienvater Fabian Russ. „Hebamme war die Klassik, Oberarzt die elektronische Musik und der Kreissaal gewissermaßen das 3D Audio. Alle drei Parameter können seitdem frei interagieren.“
Nur wenig später kommt erstmals die Idee einer GPS-basierten App in Verbindung mit 3D-Sounds für Kopfhörer auf, allerdings zunächst noch mit etwas anderem Inhalt: „Es sollte um Zombies gehen, die hinter einem herrennen, wenn man mit dem Fahrrad durch ein auf der Karte markiertes Gebiet fährt, eine sehr lustige Idee – Zombies mochte ich nicht, aber die Idee.“ In Zusammenarbeit mit dem Programmierer Tobias Philipp und dem Heinrich Schütz Musikfest geht schließlich 2019 die zombielose Variante der App unter dem Namen SWALK online.
„Es ist mir eine große Freude und Ehre, wieder Teil des Heinrich Schütz Musikfests sein zu dürfen“, beteuert Russ. „Auch weil ich fast alles, was wir in den letzten Jahren geschaffen haben, außerhalb Mitteldeutschlands realisiert habe. Umso mehr freue ich mich, an und um den Ort, wo ich mit meiner Familie lebe, etwas Neues zu erschaffen. Mittel- und langfristig möchte ich der Stadt und diesem Land zurückgeben, was man mir hier einst ermöglichte.“
Mit Orchestronik in die Zukunft
Bis 2022 wird das Klangnetz, das Orchestronik bzw. Fabian Russ mit SWALK für das Heinrich Schütz Musikfest errichtet hat, sukzessive erweitert. Immer mehr Klangstationen und auch 3D-Klanginstallationen kommen hinzu, die den Zuhörer an jenen Orten verzaubern und in eine andere Welt hineinholen. Bisher sind Soundblasen und SWALK-Stationen an den wichtigsten Wirkungsstätten Heinrich Schütz’ in Weißenfels, Zeitz, Dresden und Bad Köstritz zu finden. In diesem Jahr wird Gera hinzukommen, wo es um die Exequien gehen wird, die Schütz dort für Heinrich Posthumus Reuß am 4. Februar 1636 zu dessen Begräbnis erklingen ließ.
Neben den Beiträgen zum Schütz-Festival dürften auch in Zukunft zahlreiche spannende Projekte vom Orchestronik-Team und Orchestronik-Tochter SWALK zu erwarten sein, bestätigt Russ: „Ja, es gibt viele Ideen und auch konkrete Vorhaben. Sie reichen von Festivals bis zum Tourismus, sei es die Verknüpfung mit Echtzeit-3D-Audio, das Übereinanderlegen verschiedener Klangwelten oder Spaziergänge mit SWALK im Wald, bei denen die Hörenden direkt in eine Geschichte miteinbezogen werden.“ Aktuell ist Russ zudem beim sozialen, politisch schwergewichtigen Compassion Prison Project in Hollywood engagiert, wo er für den Soundtrack der von Rodrigo Prieto und Fritzi Horstman produzierten Dokumentation „Step Inside the Circle“ verantwortlich ist.
Weitere Infos zu Fabian Russ, SWALK und den Projekten von Orchestronik gibt es auf www.swalken.de und www.orchestronik.de.
Aufmacherbild: Heinrich Schütz Musikfest/Susann Rutscher